Mittwoch, 5. April 2017

Albanien Reise 2016 - 8. Reisetag


Heike
Liebeskummer und Suchscheinwerfer

Es ist kurz nach sieben Uhr und die Sonne scheint. Da fällt es mir  leicht, aufzustehen und mit Freddy und der Hündin (sie hat die ganze Nacht unterm Toyota geschlafen und jeden, ob Hund, Katze oder Maus verbellt, was möglicherweise zu unserem Schutz beitrug, doch ganz bestimmt zu einer unruhigen Nacht) ans Meer zu gehen.
Wieder tragen wir nicht nur auf unserem Frühstückstisch reichlich auf sondern auch in die Näpfe der zwei Hunde. Und wieder lässt Freddy in seinem Napf die Hälfte übrig. Spürt er, dass die Hündin Hunger kennt? Ist ein Hund möglicherweise viel emotionaler und emphatischer, als es uns „Hundekenner“ glaubend machen wollen? Und ab wann darf man sich Hundekenner nennen? 
Gegen Mittag verabschieden wir uns von Dimitri und sind voller schlechtem Gewissen. Es tut weh, Freddy und die Hündin zu trennen. Die Hündin wieder ihrem eigenen Schicksal zu überlassen, das jetzt, wo Herbst und Winter vor der Tür stehen (und keine weichherzigen Touristen mehr Futter verteilen) ganz bestimmt nicht leicht sein wird. Mitnehmen? Der Gedanke ist in mir, ich spreche mit Frank darüber, und bin überrascht, dass er zumindest darüber nachdenkt. Aber was ist, wenn an irgendeiner Grenze (wir passieren einige auf unserem Rückweg) nach dem Pass des Hundes verlangt wird, nach den notwendigen Impfungen? Quarantäne für die Hündin. Und wer holt sie dort dann wieder ab? Die Hündin nach Himare/Albanien zurück bringen? An der Grenze aussetzen, da sie eh kein Zuhause hat? Nein, nein, nein. Schweren Herzens lassen wir die Hündin zurück. Während sie noch eine Weile hinter uns her rennt, liegt Freddy traurig zwischen uns im Toyota.
Nächstes Ziel: ein kleiner Strand, ca. eine Stunde entfernt, laut Google Map unverbaut und mehr als zwei Kilometer vom nächsten Dorf entfernt. Der Weg dahin ist ohne Allrad und hochbeinigem Fahrzeug nicht zu bewältigen. Doch er lohnt sich. Der Strand ist wunderbar einsam, dadurch sauber und schön ist er auch noch.  


Der Rest des Tages plätschert dahin. Wir schauen aufs Meer, schwimmen im Meer, schnorcheln im Meer, suchen Hühnergötter am Meer. Freddy der sonst mit mir jeden See durchschwimmt, kommt mit den Wellen, die ihn anheben und weg tragen nicht gut klar. Vielleicht brennt ihm auch das Salz in den Augen. Und, noch wahrscheinlicher, der Liebeskummer. Jedenfalls bleibt er die meiste Zeit am Land und liegt traurig am Toyota. Die Sonne steht schon tief, als ich den Versuch beschließe, ihn von seinem Trennungselend  abzulenken. „Komm" spreche ich ihn an, "wir zwei unternehmen einen schönen langen Spaziergang. Wir gehen ins Dorf, kaufen ein paar Tomaten und laufen zurück.“
Frank hadert mit sich. Er möchte uns nicht allein lassen. Aber den Toyota auch nicht. „Ich habe bereits einen Beschützer“, setze ich mir meinen Rucksack auf, „Und du musst für unser abendliches Lagerfeuer sorgen.“
Kurz vor dem Dorf geht der so herrliche Weg (rechts die Berge, links das Meer) in wilde Müllhalden über. Mit den ersten streunernden Hunden ändern sich die Rollen. Ich belade mich mit reichlich Steinen und werde zur Beschützerin von Freddy. Kommt ein Hund auf uns zugelaufen (Freddy geht fast immer ohne Leine) erhebe ich die Hand, knurre in meinen tiefsten Tönen, „Wage dir nicht näher zu kommen“, und sofort haben wir wieder Ruhe.
Zwei verwitterte Hinweisschilder zeigen im Dorf mein Ziel an: Market. Jedoch haben beide geschlossen, und das offensichtlich nicht erst seit Ende der Saison. Ich habe das Ende des Dorfes erreicht als ich endlich ein geöffnetes Restaurant entdecke. Wenn ich schon nichts einkaufen kann möchte ich zumindest einen Espresso trinken.
Auf der schmuddeligen Terrasse sitzen vier Männer auf alles anderen als taufrischen Plastikstühlen, einer von ihnen steht auf. Innerlich weiche ich einen Schritt zurück. Haben die sich gerade geprügelt? Quer über die Nase des Mannes verläuft ein blutender Riss. Gestikulierend fragt er, was ich will. Ja, das weiß ich auch gerade nicht mehr. Aber eine Antwort muss ich liefern. „Kaffee?“ Der Mann schaut fragend zu seinen drei Saufkumpanen. „Espresso?“, schieße ich nach. Der Mann nickt. Beherzt folge ich ihm in die offene Küche, ich muss wissen, wie weit seine blutende Nase von meiner Tasse entfernt bleibt. Während ich meinen Espresso schlürfe, schaue ich übers Meer und bin sehr erleichtert, über meine saubere Plastiktasse, über meinen entspannten Freddy, der zu meinen Füßen liegt und über die Männer, die (wenn sie es denn waren) sich nicht mehr in Prügellaune befinden. Dann bemerke ich zu meinem Entsetzen, dass die Sonne sehr bald den Horizont des Meeres küssen wird. Warum entflieht mir nur so oft die Zeit? Schon in der Grundschule (lang ist es her) bekam ich die meisten Einträge ins Muttiheft, wegen zu spät kommens. Dabei wurde ich pünktlich von zu Hause los geschickt. Aber so ein Schulweg ist ja auch interessant, was da alles über den Boden kreucht, an den Bäumen hängt, in irgendwelchen Löchern versteckt ist.
Ich brauche immer noch Tomaten. Im Kühlschrank in der Wirtschaft, in dem für die Getränke (also mit Glastür), da lag das heiß ersehnte Gemüse. Ich bitte dem Wirt mir zu folgen, zeige mit der einen Hand auf die Tomaten, mit der anderen die Zahl drei. Der Wirt schaut zu seinen Kumpanen, holt sich wahrscheinlich die Gewissheit, ob er meine Gesten (sie sprechen alle vier kein Englisch) richtig deutet. Ich bekomme vier Tomaten (ich schwöre ich habe drei Finger hoch gestreckt), bezahle und mache mich auf den Rückweg. Holz will ich schließlich auch noch sammeln.
Frank schließt mich überglücklich in die Arme, ich setze mich auf meinen Stuhl, bereit dem baldigen Sonnenuntergang zuzusehen. Eine Herde Ziegen und Schafe kommt uns auf ihrem wohl angestammten Feierabendweg besuchen. Wir schauen sie an, wie sie uns anschauen: Ja, wo kommt ihr denn her?
   

Die Sonne geht unter, als Frank, in dessem Arm ich mich hinein gekuschelt habe, mir leise ins Ohr flüstert, „Polizei!“ Der Schreck geht tiefer unter die Haut, als der Anblick des Mannes mit der blutenden Schramme über der Nase. Aus dem Augenwinkel heraus beobachten wir was passiert. Die Männer in Uniform (die sich zu Fuß angeschlichen haben) haben es eindeutig nicht auf uns abgesehen. Sie klettern über die Klippen, um weiter hinaus „ins“ Meer zu gelangen. Ihr Augenmerk gilt etwas, was sich eine Bucht von uns entfernt  befinden muss.
Mit Ferngläsern versuchen sie dieses „etwas“ zu erspähen. Zu gern würde ich jetzt auch unser Fernglas raus holen und mit spähen. Doch Frank meint, das sei keine gute Idee. Wenige Minuten später taucht ein Polizeiboot auf, das in die Nachbarbucht fährt und von dort ein motorisiertes Schlauchboot mit sechs jungen Männern hinaus eskortiert. Nun, wo kein Polizist mehr in "unserer" Bucht sich befindet (klammheimlich verschwunden) haben wir nun auch das Fernglas rausgeholt. Der kugelrunde Vollmond sorgt für das nötige Licht. Geht die Polizei von Flüchtlingen aus? Haben die sechs Männer was verbockt? Ein bisschen gruselig ist das schon.
Wir schnippeln, kochen und essen. Danach sitzen wir am Lagerfeuer. Stille ist in uns und um uns. Unzählige Sterne funkeln über uns,  Wellen strömen heran und ziehen sich wieder zurück. Und dann erneut das Geräusch eines Motorbootes.  Nur diesmal mit Kurs auf unsere Bucht. Zwei fordernde Stimmen sprechen uns an, werden lauter. Wir verstehen kein Wort. Mir verschlägt es die Stimme, Frank bleibt scheinbar gelassen. „Was wollen die von uns?“, bringe ich heiser hervor, als das Boot abdreht.
„Waren die von der Polizei? Tun wir was unerlaubtes?“
„Wenn sie von der Polizei gewesen wären“, zieht mich Frank fester in seine Arme, „Dann hätten sie Suchscheinwerfer eingesetzt.“
„Frank, ich weiß nicht, was mir mehr Angst macht. Der Gedanke es war die Polizei oder der Gedanke, es war nicht die Polizei. Denn was sind es dann für Männer? Was wollten sie? Und vor allem, wollen sie noch immer etwas?“ Panik ist jetzt in mir, „Ich weiß nicht, ob wir wirklich hier bleiben sollten?!“, stehe ich auf und umkreise den Toyota. Während Frank Feuerholz nachlegt, „Bleib ruhig", ruft er mir bei meiner Umkreisung zu, "Wir sind hier sicher.“
„Und wenn nicht?", setze ich mich wieder hin. "So oder so, ich werde heute Nacht vor Aufregung kein Auge zubekommen."
"Wenn du wirklich nicht hier bleiben willst, dann fahre ich mit dir auch wo anders hin." 
"Die Frage ist nur wohin", erwidere ich, "so leicht ist es hier ja nun auch wieder nicht einen vernünftigen Platz für die Nacht  zu finden. Du meinst wirklich wir sind hier sicher?"
"Ja."
Mein Herzschlag hat sich gerade beruhigt als sich erneut ein Motorboot nähert, erneut mit eindeutigem Kurs auf unsere Bucht. Es setzt aus, als  grelle Suchscheinwerfer auf uns ausgerichtet werden. Ob Frank, wie ich augenblicklich zur Eissäule gefriert, weiß ich nicht zu sagen. Ich bin es jedenfalls (und Frank schweigt ja öfters mal). Nach endlosen Minuten erlöschen die Scheinwerfer,  das Boot dreht ab, es dauert ebenfalls Minuten bis ich meine Stimme wieder finde. 
„Das war aber jetzt eindeutig die Polizei. Kommen die jetzt auf dem Landweg und holen uns ab?“
„Quatsch“, lacht Frank verhalten, „Wenn die was von uns gewollt hätten, wären sie hier an Land gegangen.“
„Lass uns bitte die Markise einrollen“, stehe ich auf. Sterne, Vollmond und Romantik sind nun gänzlich aus meinem Sichtfeld verschwunden. "Wir räumen alles was draußen steht in den Toyota und dann bringst du diesen in Fluchtrichtung."
"Okay, wir rollen die Markise ein und klappen den Tisch zusammen. Aber der Toyota bleibt so stehen, wie er steht.  Und unsere Stühle auch. Weil ich mir sicher bin die nächtliche Besuchszeit ist nun echt vorbei.“

Das Meer rauscht, die Sterne und der Mond leuchten durchs Gagenfenster, Frank schläft friedlich und fest neben mir, nackt und eingekuschelt in seinem Schlafsack. Während ich in voller Montur auf meinem liege. Der Zündschlüssel baumelt über mir, meine Sinne sind aufs äußerste geschärft. Wann muss ich nach unten springen, um mit Vollgas unsere Stühle zu überfahren, um uns zu retten?


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