Freitag, 10. Februar 2017

Albanien Reise 2016 - 4. Reisetag

Heike
4. Tag - Wer sich begegnen soll, begegnet sich auch


Mist, da sind wir schon Frühaufsteher. Doch unsere Nachbarn mit dem so prächtigen LKW sind Frühfrühaufsteher. Gestern am sehr späten Abend, als wir von Venedig zurück kamen, saßen sie schon innen bei Wein und Bier, während wir draußen um sie herum schlichen. Es ist leicht (zumindest für uns) Menschen anzusprechen, die sich vor ihrem Fahrzeug befinden. Aber zu klopfen und zu sagen: „Hallo. Wohin, woher des Weges?“, ist schon erheblich schwerer. Wäre ja auch blöd, wenn die Tür auf geht und bevor man seinen Satz zu Ende gesprochen hat, wieder zu. Aber würde das überhaupt passieren? Eher selten, nehme ich mal an. Aber warum sitzt einen dann diese Angst im Genick? Wenn sich einer blöd vorkommen müsste, müsste es doch der sein, der den Eintritt verwehrt. Jedenfalls ist die Chance vertan mit unseren Nachbarn zu plaudern. Der LKW springt mit wunderbar tiefen Geräuschen an und fährt von dannen, während wir noch das Bett hüten.
Wie die Sonne doch täuschen kann. Im Schlafsack, die Sonne durchs Gagenfenster, war es gerade noch kuschelwarm, jetzt draußen ist es bitterlich kalt. Manchmal frage ich mich: Vor- oder Nachteil, das sich außer schlafen und aufs Klo gehen bei uns alles Andere – waschen, kochen, essen - draußen abspielt? Womo – Besitzer (und auch manche LKW Fahrer) sieht man bei schlechten Wetter überhaupt nicht draußen. Alles spielt sich innen ab. Stimmt nicht?! Das wäre auch bei gutem Wetter so. Ja, auch das haben wir schon beobachtet. Damit entscheide ich mich für Vorteil. Wir sitzen immer draußen und wenn es mal wirklich zu kalt oder zu regnerisch ist, gibt es ja die Ortsansässigen Bäcker und Restaurants. So oder so bleiben wir damit immer im direkten Kontakt mit Landschaft, den dort lebenden Menschen und der einheimischen Gastronomie. Das ist schließlich kein unerheblicher Grund des Reisens. Unser Blick wird wieder mal „verstellt“ von einer großen Fähre, die an unserer Frühstückstafel vorbei schippert. Frank jubelt auf, „Das ist unsere Fähre.“ „Echt?“ frage ich nach und zeige mit dem Finger aufs mittlere Deck. „Dann werden wir am Nachmittag dort Kaffee und Tee trinken?“ „So ist es“, antwortet Frank. Mein Finger zeigt weiter hoch, „Dann befindet sich dort wieder das größte Hundeklo der Welt?“ „Das ist anzunehmen“, grinst Frank und wendet sich an Freddy, „Hoffentlich bekommst du an Bord diesmal dein Geschäft leichter hin.“ (Für diejenigen die unseren Blog über Marokko nicht gelesen haben: Obwohl es auf den Fähren Haustierkabinen gibt, obwohl Hunde mit an Bord dürfen, gibt es für die Vierbeiner keine Art Sandkasten, indem sie ihre Notdurft verrichten können. Auf die Frage nach dem Hundeklo kommt eine sehr ausladende Geste und der Hinweis: Am Oberdeck. Dort, darf der Hund hinmachen. Will er aber in aller Regel nicht. Freddy ist solange auf und ab gelaufen bis ihm die Wurst wortwörtlich hinten raus fiel.) „Damit er für heute sein Geschäft schon mal hinter sich hat“, stehe ich auf „werden wir zwei jetzt eine besonders große Runde drehen.“ „Aber vergiss die Zeit nicht“, ermahnt mich Frank, „Viertel vor zehn müssen wir Richtung Fähre aufbrechen. Zehn Uhr ist Check in, zwölf Uhr legt die Fähre ab.“ Trotz meines angeblich schlechten Zeitmanagments sind wir pünktlich zehn Uhr am Check in. Elf Uhr sind wir immer noch da. Das heißt Frank ist in einem Häuschen verschwunden, Freddy und ich sind draußen auf dem Parkplatz, spielen das Stöckchen Spiel und betreiben Konversation, über das: Wohin, woher des Weges? Ein Ehepaar warnt mich, „Sie wollen nach Griechenland?! Dann sollten sie wissen, dass Sie sich auf einer Mumienfahrt befinden. Wenn sie uns schon alt finden, werden sie recht bald eines besseren belehrt werden“, sagt der Mann, und die Frau lacht, „Für uns war das super. Bei all den vielen achtzigjährigen Rolladerfahrern kamen wir uns mit unseren siebzig Jahren ohne Krückstock mal wieder so richtig jung vor.“ „Was machen denn all die hochbetagten Menschen auf einer Fähre?“, will ich wissen, „Wurden in Griechenland die Altersheime aufgelöst, und nun verschiffen sie deren Insassen nach Deutschland?“ „Nein“, grinst der Mann, „Die meisten sind Deutsche, die ihren Lebensabend in Griechenland verbringen. Sie haben sich dort ein Ferienhaus oder eine Wohnung gekauft, manche bleiben ganzjährig, manche von Frühling bis Spätsommer, andere überwintern nur. Wir bleiben immer von Mai bis Oktober. Unser Ferienhaus ist so klein, das wir nur drinnen kochen können. Geschlafen wird im Zelt.“ Ich nicke anerkennend. Auf dem Weg zurück in den Toyota, flüstere ich Freddy zu, „ Gute Aussichten. Rolladerfahrer schaffen es nicht die steile Treppe bis zum Oberdeck hinauf. Damit hast du das Riesenklo für dich allein.“
Halb zwölf reihen wir uns in die Schlange vor der Fähre ein. Alles sieht nach einer erneuten langen Wartezeit aus. „Siehst du ihn?“, schubse ich Frank an. Drei Fahrzeuge vor uns steht unser Nachbar vom Zeltplatz. Der mit dem tollen LKW. „Super“, grinst Frank, „Dann lass uns mal hingehen“. Schnell sind wir im Gespräch. Frank erzählt, dass wir einen MAN ausbauen, der Fahrer des LKWs fragt, „Wollt ihr euch mal unseren von innen ansehen?“ Zu gern doch. „Wow“, entfährt es mir. Eine Wahnsinns Einbauküche und ein wunderbar breites kuschliges Bett. „Wow“, macht auch Frank. Ich bin mir jedoch recht unsicher auf was sich sein „Wow“ bezieht. Der Mann stellt sich als Markus vor. Ohne Protz sagt er, „ Eine halbe Million hat uns das Ganze gekostet. Gut angelegtes Geld. Wir leben schließlich von Oktober bis März hier drinnen.“ Dann schaut er zu mir, die immer noch die Küche anstarrt, „Meine Frau liebt das Reisen, jedoch nicht ganz so sehr wie ich. Also habe ich mir gesagt, muss sie sich hier im LKW wie zu Hause fühlen. Dafür habe ich gesorgt“, er öffnet eine Küchentür. Ich glaube, ich sehe nicht richtig. „Ein Thermomix!“, staune ich lachend, „in einem LKW“. Der Topf, der die Begierde so vieler Frauen auslöst, und wenn sie ihn haben für (hoffentlich lang anhaltende) Befriedigung sorgt. Markus schiebt mich sanft nach rechts, Richtung Fahrerhaus. Ich komme zwischen Toilette, Waschbecken und Dusche zum stehen. „ Öffne mal gleichzeitig unsere beiden Kleiderschränke“. Ich sehe ihn verdutzt an. „Mach mal“, grinst er. Die Türen treffen sich exakt in der Mitte, wo sie sich verhaken lassen. Damit habe ich jetzt ein Bad ganz für mich allein und teile den Männern durch die „Wand“ meine Begeisterung mit. „Ich sehe das so“, vernehme ich Markus. „Es muss den Frauen so richtig gut gehen auf Reisen. Dann gibt es auch kein Gezicke“. Ich glaube, Frank stöhnen zu hören. Schwant ihm das der MAN Ausbau jetzt anders verlaufen wird. Das ich „Blut“ geleckt“ habe? Ein Bad brauche ich ja nicht. Aber auf längeren Reisen (das ist ja der Sinn vom MAN Ausbau) eine praktisch und leicht zu bedienende Küche, einen Kleiderschrank und so ein wunderbar breites kuscheliges Bett mit ganz vielen Kissen, das wäre schon sehr schön. „Komm mal wieder raus da“, höre ich Frank. „Die Schlange da draußen setzt sich in Bewegung.“
Kaum im Toyota, sieht er mich forschend an, „Du kommst jetzt aber nicht auf die Idee, dass wir den MAN auch so ausbauen sollten?!“ „Nein“, lache ich, „Das Geld haben wir ja auch nicht. Aber ein was ist ab heute sicher: Die Küchenplanung übernehme ich.“ „Ich ahnte es“, verdreht mein Traummann die Augen.  
Kurz vor der Auffahrt in die Fähre werden wir angewiesen an die Seite zu fahren. Zwei Polizisten kommen, verlangen unsere Personalausweise, verschwinden mit diesen und kommen erst nach zehn Minuten wieder. Frank und ich schauen uns an, „Wahrscheinlich haben sie Langeweile“, meint Frank. „ Sieht ganz so aus“, erwidere ich.
Als letztes Fahrzeug, exakt 13.45 Uhr, dürfen auch wir in die Fähre einfahren. Im Frachtraum bin ich wieder mal überrascht, wie viele Fahrzeuge hinein passen. Der Einweiser lässt Frank im Rückwärtsgang so weit nach hinten fahren, dass es uns unmöglich ist noch die Hecktür zu öffnen und unseren Freddy raus zulassen. Frank fährt unter einem grimmig beobachtenden dunklen Augenpaar wieder ein Stück vor. Wir holen Freddy und unsere Rucksäcke raus und müssen dann exakt die vierzig Zentimeter zurück. Damit kuschelt unser Toyota mit dem Auto dahinter.
Unsere Haustierkabine überrascht uns. Alles im recht guten und sauberen Zustand, relativ geräumig, sogar Steppbetten sind vorhanden. Ich freue mich auf die fünfundzwanzig Stunden an Bord. Seele baumeln lassen, aufs Meer starren, schlafen, Kaffee trinken, lesen, schreiben...
Am Abend treffen wir Markus und Carola im Selbstbedienungsrestaurant wieder. Da ich ja nicht an Zufälle glaube, gehe ich von Fügung aus und richte mich auf einen gemeinsamen Abend ein. Wir speisen zusammen, holen uns noch mehr mies schmeckenden Wein (Frank bleibt bei Cola), verquatschen uns. Bei der dritten Bitte das Restaurant zu verlassen (es hat bereits geschlossen) wird die Servicekraft resoluter. Damit ziehen wir in eine der vielen Bars um. Mit dem Wein geht es nicht Bergauf sondern geschmacklich weiter Bergab, nur merken wir das jetzt immer weniger. Denn wir führen gute Gespräche. Aufgabenstellung: Was haben wir bereits im Leben dazu gelernt? Beinhalten Schicksalsschläge womöglich einen Gewinn? Wenn ja, welchen? Markus erzählt wie er bereits unter dreißig mehrere Millionen verdiente, von dem anfänglichen Spaß kreativ zu sein, etwas zu schaffen und dann zu sehen, wie sich das Ganze stetig mehr selbst befruchtete. „Irgendwann war es jedoch vorbei mit der Freude. Dazu bemerkte ich, dass ich die Rolle des Managers, des großen Unternehmers, die ich jetzt inne hielt, nie wollte. Ich wollte wieder mit meinen Händen arbeiten. Doch vor allem wollte ich wieder Zeit mit meiner Familie verbringen. Und ich wollte endlich mal wieder durchschlafen. Ohne Angst vor der enormen Verantwortung für so viele andere Menschen, und der Angst sich dabei selbst zu verlieren.“ Markus schaffte etwas Beachtliches. Zunächst gelangte er zu der Erkenntnis: Es ist genug. Das was ich wollte habe ich erreicht. Sicherlich könnte ich noch mehr Millionen verdienen. Aber um welchen Preis? Für was? Für wem? Daraufhin ließ er Schritte folgen: Mit Mitte dreißig verkaufte er sein Unternehmen und blieb zu Hause. Nur gestaltete sich das erste Jahr gar nicht so, wie gedacht. Worauf Carola das Wort ergreift, „Nach Jahren, in denen mein Mann nur körperlich ab und an zu Hause war, kam der Tag, an dem er nun vierundzwanzig Stunden präsent war. Als Unternehmer war er es gewohnt den Tag für sich und andere zu strukturieren, zu bestimmen, dort geht es lang und nirgendwo anders. Doch die Kinder und ich hatten unseren eigenen Plan, schließlich hatten wir unseren Alltag bis dahin über Jahre allein bestritten. In den ersten Monaten war ich oft genervt, fühlte mich beobachtet, kontrolliert, bevormundet. Markus war dagegen oft nur bitter enttäuscht. Auch, weil wir so viel außer Haus waren. Aber so ist nun mal das Leben mit Kindern. Früh geht es in die Schule, der Vormittag ist mit Haushalt und Einkauf verplant, Mittags Kinder  abholen, Hausaufgaben erledigen, diverse Freizeitaktivitäten anfahren. Dazu hatten sowohl die Kinder als auch ich einen eigenen Freundeskreis aufgebaut. Damals dachte ich, ein Mann der selten bis nie zu Hause ist, ist furchtbar, aber ein Mann der immer daheim ist, ist es ebenso. Aber wie den goldenen Mittelweg finden? Dazu kam das Markus noch unter den Folgen von Burnout litt Es dauerte fast ein Jahr bis die Aufgaben und Rollen neu verteilt waren und sich Markus kräftemäßig wieder erholt hatte. Eine wunderbare Familienzeit begann.“ Zehn Jahre später baute Markus ein neues Unternehmen auf, nicht minder erfolgreich wie das Erste. „Irgendwann juckte es mich wieder in den Fingern. Ich wollte wissen, ob ich es noch kann. Etwas erträumen, aufbauen, vergrößern, zum Erfolg bringen. Nur diesmal holte ich mir meine Erfahrungen aus meinem, sagen wir mal erstem Leben, mit ins Boot und dazu meine Frau. Seitdem arbeiten wir Seite an Seite von April bis September, die restliche Zeit reisen wir. Und wir haben uns von etlichen getrennt. Wie von unserer Familienfarm in Namibia oder von unseren Fischzuchtteichen in Deutschland. Das alles ist für sich wunderschön, zusammen einfach nur eine Last. Denn du kannst nicht alles bedienen, genießen schon mal gar nicht. Es heißt der Mensch wächst mit seinen Aufgaben und das stimmt auch. Aber, wenn du jeden Weg gehen willst, der sich dir auftut, verzettelst du dich. Gehst du immer nur steil bergauf, erschöpfst du. Ein sicheres gutes Jahres einkommen macht zufrieden. Sehr viel Geld kann dich jedoch schnell zum Opfer des Geldes werden lassen. Allein die Sorge es wieder zu verlieren, raubt nicht wenigen den Schlaf. Früher habe ich drüber geschmunzelt, dass es immer auf den goldenden Mittelweg im Leben ankommen soll. Aber es stimmt. Und es ist ein gutes Gefühl diesen für sich gefunden zu haben.
Dann wechseln wir das Thema. Neues Thema: Gibt es wirklich ein Leben nach dem Tod? Und wenn ja, wie sieht das aus? Was ist der mögliche Sinn der dahinter steckt? Ich traue mir von dem Tag zu erzählen, als ich in einem Fluss mein Leben verlor und beatmet werden musste. „In der Medizin heißt es Nahtoderlebnis. Dein Körper arbeitet nicht mehr. Aber du fühlst, siehst, hörst und denkst weiter. Ich dachte damals meine Kinder sind zu klein, um bereits jetzt schon ohne Mutter zu sein. Ohne Angst und Panik sagte ich mir: Ich will jetzt noch nicht gehen. Dazu bildete ich mir ein unter Wasser weiter atmen zu können.“ Kurze Betroffenheit, dann Neugier. "Erzähl doch mal, wie das genau passiert ist..." (Hier möchte ich erstmal abbrechen. Vielleicht berichte ich  zu einem späteren Zeitpunkt darüber.)  

Es ist nach 2 Uhr als wir in unsere Kabinen gehen, drei davon leicht schwankend, einer kerzengerade. Herzlichst umarmen wir uns und wünschen uns eine erholsame, wenn auch kurze Nacht.

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