Montag, 5. September 2016

Marokko Reise 2016 - Montag, den 18.04.2016 Teil 2

Heike
Montag, 19. Reisetag

Abschied von Zwerg Nase und damit dem Dorf aus Tausend und einer Nacht / Muse - Stunde im Harem / Ankunft in Marrakesch

Ach, wie trügerisch doch die Hoffnung ist und wie verloren mein Zeitgefühl. Als Frank einschläft ist es 12.30 Uhr. Selbst wenn er länger als eine Stunde schlafen würde, ergäbe das noch lange nicht später Nachmittag. Ich döse neben ihm ein, mein Arm erschöpft vom langen Kopf kraulen und werde geweckt von, „So, einpacken, los geht’s!“ 13.35 Uhr rollen wir vom Hof der Auberge Les Jardin.

Und wie immer, wenn wir fahren, denke ich „Ach wie schön, wir sind wieder auf Tour“. Wir fahren Kilometer für Kilometer durch das Ounila – Tal auf einer kurvenreichen Straße die direkt neben einen mit Palmen gesäumten Fluss verläuft. Eine alte Kasbah nach der anderen erscheint. Alle aus Stampflehm erbaut
(ein Gemisch aus Lehm und Stroh), alle dem Verfall ausgeliefert, alle unwirklich schön (irgendwo habe ich mal von einer Straße in Marokko gelesen die die Straße der tausend Kasbahs genannt wird – das könnte hier sein, bin mir aber nicht
sicher). In Telouet auf 1870 m Höhe biegen wir ab zur gleichnamigen Kasbah de Telouet oder auch Dar Glaoui genannt. Sie ist im Gegensatz zum landestypischen Stampflehm, auch aus Lehmziegeln errichtet. Auch soll sie wohl ursprünglich mit Lehm verputzt und weiß angestrichen gewesen sein, etwas völlig unübliches in den Berbergebieten Südmarokkos. Leider ist die Kasbah seit dem Jahr der Unabhängigkeit Marokkos (1956) nicht mehr bewohnt und daher auch nicht mehr weiß, noch glatt verputzt, noch erkennt man ob Stampflehm oder Lehmziegel verwendet wurden. Sie ist eine Ruine im allerschlimmsten Zustand. Denn es weigert sich der Staat Marokko Geld in die ehemaligen Paläste des ungeliebten Franzosenfreundes Thami el Glaoui zu investieren. Thami El Glaoui (1870 – 1956) hatte hier in Telouet seinen Herrschaftssitz. Er half dem in politischen Schwierigkeiten steckenden Sultan Moulay Hassan; als Gegenleistung gewährte ihm der Sultan politische und wirtschaftliche Freiheiten südlich des Hohen Atlas. Während der Kolonialzeit paktierte El Glaoui mit den Franzosen – immer seltener im Interesse des Sultans, er wurde damit noch reicher an Geld und Einfluss und wurde von den Franzosen zum Pascha von Marrakesch ernannt. Er bekam die Kontrolle über große Teile des marokkanischen Südens und so ließ Thami El Glaoui auch andernorts große und repräsentative Kasbahs errichten. All diese Kasbahs sind dem Untergang geweiht. Ausnahme bildet die Kasbah Taourit in Ouarzazate, denn dort investiert Marokko viel Geld in die Renovierung.
Im Reiseführer heißt es zur Kasbah Telouet von außen pfui, von innen hui. Ehrlich gesagt sind wir am zweifeln, das uns hier ein Hui erwarten könnte. Dennoch parken wir auf dem
kleinen Hof ein (als einziges Fahrzeug) und sind verwundert als wir zwei Männer am Eingang antreffen die Eintritt kassieren. Sie sehen amtlich aus aber das, so wissen wir bereits, hat nicht viel zu bedeuten. Wir zahlen und denken uns dabei: Für diesen ehemaligen Palast kommt jede Hilfe zu spät aber die Männer haben sicherlich Familie. Nach uns kam ein weiteres Auto an. Die vier Franzosen werden gefragt, ob sie eine Führung wünschen. Das bekommen wir noch im hinein gehen in die Kasbah mit. Frank und ich schauen uns an, komisch uns haben sie das nicht gefragt. Sieht man uns unser Nein zur Führung an? Oder liegt es wieder an Freddy? Wie schon einige Mal erwähnt haben die Menschen hier Respekt bis hin zur Angst vor Hunden. Was nicht verhindert, dass wir sehr oft auf unseren Freddy angesprochen werden, welch tolles Tier er sei, kräftig, gesund und schön. Falls die Sprache nicht funktioniert geht der Daumen hoch oder bewunderndes Kopfnicken ist angesagt. Streicheln oder näher an ihn ran will keiner. Die Franzosen wollen auch keine Führung. Gemeinsam suchen wir uns den Weg durch die Ruinen – überall eingestürzte Wände, Treppen, Mauern. Ich überlege, ob ich den Männern am Einlass raten sollte als Geschäftsidee Sicherheitshelme zu verleihen, das könnte echt gut laufen. Frank lacht, „Und woher sollen sie diese her bekommen?!“ Ja, das weiß ich auch nicht. Wir steigen hoch zum Dach, die Franzosen biegen irgendwo anders ab. Ein herrlicher Ausblick hier oben, einst eine weitläufige Terrasse, jetzt erscheint es uns gescheiter nicht allzu viel herum zu laufen. Nicht das wir schneller unten sind als beabsichtigt. Wir steigen einige Treppen wieder herunter und betreten gleich mehrere Räume, die sich äußerst erfolgreich gegen den Verfall währten. Wir sind tatsächlich im „Hui“ angekommen. Aus dem Reiseführer wissen wir, es handelt sich u.a. um den Empfangsraum und den Harem. Völlig intakte Wände und Böden aus bunten Steinmosaiken. Die hohen Türen und Decken aus geschnitztem Holz. Ich bin mir sicher, gerade die Räume des Harems betreten zu haben und setze mich auf das breite Fensterbrett des teilweise vergitterten Fensters. Zu gern würde ich jetzt über die Fähigkeit einer Zeitreise verfügen, mich hinein beamen in die Zeit in der hier schöne Frauen wohnten. Sahen sie ihr Leben im Harem des Paschas von Marrakesch als Privileg? Oder ging ihr Blick immer wieder traurig, verzweifelt, sehnsüchtig nach draußen in die Ferne zu ihrer Ursprungsfamilie oder gar zu einem geliebten Mann? Verstanden sie sich miteinander, lachten sie viel oder taten sie sich gegenseitig mit Worten und Handlungen weh?
Kümmerten sie sich gemeinsam um ihre Kinder, die alle den gleichen Vater haben? Oder gab es auch da Rivalitäten? Durften sie in Begleitung nach draußen gehen – in die Berge, an den Fluss, zu den fruchtbaren Felder? Fragen die ohne Antworten bleiben. Eine andere Zeit, eine andere Kultur, ein anderes Leben, andere Werte, andere Träume.

Wir verlassen die Kasbah, schmunzeln als wir neben unserem Toyota einen Jungen stehen sehen. Aha, er wird jetzt sagen, er hat die ganze Zeit auf unser Fahrzeug aufgepasst und dann die Hand ausstrecken. Warum nicht? Wir zahlen in Deutschland ja auch Parkgebühr und haben dabei keinen eigenen Parkplatzbetreuer der sich neben unser Fahrzeug setzt. Wir bedanken uns bei dem Jungen, geben ihm 5 Dirham und weiter geht es. Nach zwanzig Kilometern verlassen wir das beeindruckende Tal und damit die enge, kurvenreiche so kurzweilige Straße. Weiter geht es über eine breitere Straße über den 2260 Meter hohen Tizi n´Tichka Pass. Es wird viel gebaut auf dieser Strecke, dazu herrscht reger Verkehr, die Landschaft tritt in den Hintergrund, hier ist aufpassen angesagt. Ich bin ein wenig traurig, unser Urlaub neigt sich dem Ende, wir überqueren den hohen Atlas und fahren damit Richtung Norden, was bedeutet die Bevölkerungsdichte und damit der Verkehr auf den Straßen wird stetig mehr zunehmen. Ich vermisse jetzt schon die Weite und Einsamkeit die hinter uns liegt.
Kurz nach 18 Uhr fahren wir auf den Zeltplatz Le Relais, zehn Kilometer außerhalb vom Stadtzentrum Marrakesch. Frank ist voller Freude, er liebt diesen Platz, der ja auch wunderschön ist mit seinen vielen Blumen - Stockrosen, Bougainvilleas, Oleander, Geranien, Rosen, Oliven, alles blüht und verströmt seinen Duft. Dazwischen laufen Hühner und ein Hahn herum, zwei Pfaus wandeln stolz daher, eine
Schildkröte kriecht langsam dahin. Der Pool ist ein Traum, mit dunkelblauen Mosaiken, glasklarem Wasser, rund herum Liegen, Hängematten, Couchecken, darauf eine Menge Kissen und zwischendrin reichlich Laternen, die den Platz abends auf eine sicherlich wunderschöne Weise beleuchten. Es kostet mich enorme Kraft mich zu bemühen, Franks Freude mit meinen Gefühlen nicht zu schmälern. Doch ich erleide gerade einen Kulturschock. Ich spüre den hartnäckigen Wunsch: Ich will hier wieder weg. Warum? Ich könnte es mir leicht machen und sagen, ich vermisse die Weite, die Einsamkeit die jenseits des hohen Atlasgebirges liegt. Aber das ist es nicht allein. Als wir die ersten Reihen der Campingparzellen ablaufen sehe ich ein Riesenschiff von Wohnmobil neben dem nächsten. Alle wirken so als würden sie nur zur Anreise nach Marokko und zur Abreise bewegt werden. Alle mit großer Satellitenschüssel, alle mit komplett eingerichteter Küche, Herd, Backofen sogar Gefrierschränke gibt es darin. Und wie ich später erfahren soll auch noch mit Waschmaschine!
Ich begreife das meine uneingeschränkte Bewunderung für Menschen die in Marokko überwintern allzu voreilig getroffen wurde. Denn überwintern habe ich mir in meiner Phantasie irgendwie anders vorgestellt. Spannender, interessanter, an Land und Leute angelehnt. Scheinbar bedeutet überwintern bei einigen Menschen nur: Wir fahren mit unserem mobilen Haus, das uns alle von daheim gewohnten Bequemlichkeiten gewährleistet, in ein billiges Land, stellen uns dort über Monate auf ein und demselben Platz, der von Mauern umgeben Land und Leute draußen lässt und der dazu noch äußerst deutsch ist, also akkurat gepflegt und penibel sauber. In der Früh backen wir uns unsere eingefrorenen Brötchen auf und am Abend grillen wir die Bratwurst. Bin ich da zu hart? Vielleicht. Aber irgendwie fällt es mir schwer zu glauben, dass Menschen die so reisen noch Interesse an Land und Leute haben und ich dachte immer, darum sollte es beim Reisen gehen. Dazu bin ich halt gerade nicht so gut „drauf“, da neigt der Mensch halt auch zu Ungerechtigkeit. Ein älteres Paar um die siebzig kommt mir in den Sinn. Wir trafen sie auf dem Zeltplatz Le Petit Prince in Merzouga im Erg Chebbi. Frank und ich (sowie Gisela und Uli) kamen gerade an, das ältere Paar saß vor seinem schnuckeligen Womo und winkte uns zu, wir winkten zurück. Mein Blick fiel auf die drei Katzen zu ihren Füßen. Ich ging auf Menschen und Katzen zu, „Ist es okay, wenn ich unseren Hund frei laufen lasse. Er ist mit Katzen aufgewachsen, wird ihnen also nichts tun. Allerdings ….“, kurz überlegte ich, ob ich es zugeben soll, „liebt er den Spaß sie ab und an zu jagen.“ Beide lachen, „Kein Problem, diese Katzen hier wissen sich schon zu währen. Unsere zwei Katzen sind im Wohnmobil und bleiben dort auch am liebsten.“ Kurz verschlug es mir die Sprache. Die zwei kümmern sich also nicht nur sehr liebevoll um marokkanische Katzen, sie reisen auch tatsächlich mit zwei deutschen Katzen herum. Kaum hatten wir unser Dachzelt aufgestellt, die Stühle und den Tisch nach draußen geholt stand der Mann neben uns und zeigte uns Fotos, „Schaut mal die Fotos sind vor zwei Jahren aufgenommen. Da haben wir für mehrere Tage im hohen Atlas gestanden, drei wilde Hunde gesellten sich zu uns. Recht bald sahen sie unser Womo, uns und unsere Katzen als ihr persönliches Revier an“, er lacht, „wir brauchten unser Womo gar nicht mehr abzuschließen. Die drei knurrten äußerst gefährlich, wenn sich uns jemand annäherte, egal ob es sich dabei um Mensch oder Tier handelte.“ Ich sehe mir die Fotos an und staune. Bilder voller Mensch- und Tierglück. Alle vereint auf dem großen marokkanischen Plaste – Teppich, der vor dem Womo liegt. Vor zwei Jahren war er blau, jetzt haben sie einen grünen. Katzen, Hunde und Menschen in friedlicher Eintracht. Warum ich das erzähle? Weil mich solche Geschichten, solche Menschen, diese Art von Reisen fasziniert. Hier auf dem Zeltplatz Le Relais sind die Preise auf Euro ausgewiesen (das haben wir bisher noch nie gesehen) und statt Tajine und Couscous steht auf der Tafel des Restaurants Pommes und Spaghetti. Die Menschen die hier auf den Liegen liegen oder sich äußerst bedächtig zwischen ihren Riesen – Luxus - Wohnmobilen und dem Pool hin und her bewegen sind nicht nur mit ein paar zu vielen Fettrollen versehen (die die allermeisten ja im Alter bekommen und einige andere bereits als Babyspeck, der sich auch später, trotz aller Bemühungen, nicht so recht schmelzen lassen will) sondern sie schwabbeln mit mehrstöckigen Fettrollen oder äußerst weit ausladenden Bäuchen in allzu knappen Bikinis und Badehosen daher. Doch das Schlimmste sind diese eisigen musternden Blicke. Ich glaube manche hören zu können: Schon wieder Neue, die sollen abhauen, das ist unser Platz. Wo sind die Menschen die wir bisher trafen? Reisende voller Gelassenheit & Neugier, die das eigene Hallo mit einem Hallo beantworten, die auf einen zugehen und alles an ihnen signalisiert, ich interessiere mich für dich und deine Erlebnisse und ich weiß, dass es dir ebenso geht.

„So, jetzt suchen wir uns einen schönen Platz aus“, sagt Frank und zieht mich wieder Richtung unseres Toyotas. Ich winke ab, „Mach du mal, mir ist es egal, wo wir stehen. Jede Campingparzelle scheint mir hier gleich schön, ähnlich groß und hat zudem Schatten.“ Damit schleiche ich über den Platz, während Frank alles abfährt. Seine Wahl fällt auf die Toyota-Ecke. Das klärt meine Stimmung erheblich auf. Es gibt hier Geländewagen! Dazu, das sehe ich sofort, klebt an den drei Fahrzeugen eindeutig Wüstensand, der rote Sand des Erg Chebbi und der helle Sand vom Erg Chegaga. Irgendwann, so mache ich mir Mut, werden die dazu gehörenden Menschen ja von ihrem Ausflug wieder auftauchen. Warum ich denke das sie auf einem Ausflug sind? Ich habe vorhin nicht übertrieben. Die Menschen die wir bisher sahen waren wirklich alle äußerst barock, die passen nicht zu zweit in die Enge eines einmeterzehn breiten Dachzeltes. Frank klappt das Dachzelt auf, ich stelle Tisch und Stühle raus und dann geht es ab an und in den Pool. Gegen zwanzig Uhr gehen wir in das an den Pool angrenzende Restaurant, hohe Räume, erdfarbene Wände, tolle Afrikabilder, große geschwungene Treppe zur oberen Etage, massiver Kamin. Ach bin ich glücklich, als ich auf der Karte auch noch ein marokkanisches Gericht entdecke. Tajine mit Huhn, absolut lecker und reichlich in einer sehr geschmackvolle eingerichteten Umgebung. Da klart meine Stimmung gleich wieder ein wenig auf. Mit Freddy gehen wir zur Gassi Runde anschließend noch mal außerhalb des Zeltplatzes. Viel Dreck, viel Müll. Freddy fällt das Laufen schwer, die spitzen Steine tun ihm weh. Ich mag ihn nicht frei laufen lassen, da es heißt, dass hier oft Giftköder ausgelegt werden um die herum streuenden Hunde zu töten. Also schauen wir uns eine Weile die Sterne an und treten dann wieder den Rückweg an, hinter die hohen Mauern des gepflegten Zeltplatzes. Es ist Zeit zum schlafen gehen. Was soll ich sagen? Ja, ich bin trotz gutem Essen, trotz eines schönen Zeltplatzes, einer gemütlichen Chillout – Lounge, trotz meines Traummannes an der Seite ein wenig deprimiert. Freddy? Der hilft mir da auch nicht, ganz im Gegenteil. Sein Blick ist traurig, die Ohren hängen, der Schwanz hat die Tendenz sich zwischen die Hinterbeine zu verstecken. Leinenzwang, spitze Steine, ein Frauchen das ganz ruhig geworden ist …. ja, was soll da seinen Schwanz zum wedeln bringen?!

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