Ein ganzer Tag auf der
Liege, nahe am Pool und nahe am ....
Nach wenigen Stunden Schlaf werde ich von heftigen Bauchkrämpfen wach. Sterne, Esel, Hunde oder wer auch immer sonst sich in einer marokkanischen Nacht so gern bemerkbar macht, existieren gerade nicht für mich. Ich will nur eins – ganz schnell auf die Zeltplatztoilette.
Doch das schaffe ich nicht. Also hocke ich mich auf das bordeigene Klo schräg unter Frank, weniger als fünfzig Zentimeter von ihm entfernt. Der Schweiß der mir ausbricht ist Scham und Schmerz geschuldet. Pippi machen mit Frank in einem Raum oder besser gesagt auf weniger als 5 qm Innenfahrzeugkabine ist schon schlimm genug. Aber das jetzt?! Das geht vom Kopf her gar nicht, nur habe ich weiter unten überhaupt keinen Einfluss mehr darauf. Ich habe massiven Durchfall, es läuft wie Wasser aus mir heraus und es hört nicht mehr auf. Ich zittere am ganzen Körper. Aber ich traue mir nicht meine Kiste mit den Sachen zu öffnen, die mir gegenüber steht. Denn das knarrende Geräusch würde womöglich Frank wecken und das will ich so absolut nicht. Er wird dennoch wach, fragt, „Was hast du denn getrunken? So viel kann man doch gar nicht pullern.“ „Kann man“, erwidere ich und laufe in der Dunkelheit rot an. „Ich habe halt sehr viel getrunken.“ „Mm...“, macht es von oben. Ich versuche alles zusammen zu kneifen. Erfolg gleich Null. Das ist so peinlich. „Sag mal“, beugt sich Frank gefühlte Minuten später zu mir herunter, „Das ist doch nicht normal. Du hast doch keinen zehn Liter Eimer ausgetrunken.“ Noch während ich überlege, was ich erwidern kann, sagt er, „Dich hat es doch erwischt. Du hast Durchfall. Oder?!“ Das ist jetzt echt zu viel für mich. Die Tränen kullern, während ich inbrünstig bete, Frank möge wieder einschlafen und am Morgen denken, er hätte einen Albtraum gehabt. Er schläft aber nicht ein, sondern fragt, „Kann ich was für dich tun?“ „Nein, alles gut.“ „Klingt alles andere als gut!“ „ Frank, bitte, ignoriere mich einfach.“ „Kann und will ich nicht“, kommt die Antwort. Als ich gefühlte Stunden später wieder nach oben klettere, umfängt er mich mit seinen Armen, „Du bist ja eiskalt? Sag bloß du hast die ganze Zeit nackt auf dem Klo gesessen. Warum das denn?“ „Weil ich nicht will das du wach bist!“ „Das verstehe ich jetzt nicht.“ „Können wir nicht einfach schlafen?!“ „So komisch kenne ich dich gar nicht.“ „Ich kenne mich gerade auch nicht“, schluchze ich und kuschle mich in tief in seine Arme und höre ihn dennoch, „Bisher hat es jeden mal erwischt. Dafür musst du dich doch nicht schämen!“ „Angesichts von geringer Bett - Klo – Entfernung schon.“ „Stell dir mal vor, der Weg wäre weiter gewesen. Hättest du es denn dann geschafft?! Ohne dich in die …. “ „Frank! Ich brauche jetzt keine männliche Logik!“ „Okay.“ Wir schlafen wieder ein, Frank fest, ich zittere, schwitze, krampfe, gehe aufs Klo, gehe wieder ins Bett, döse vor mich hin, zittere, schwitze, krampfe....
Mit Sonnenaufgang erinnert sich Frank sofort an die
nächtliche Unterbrechung, also nichts mit „Ich hatte vielleicht einen blöden
Albtraum.“ Er schaut mich besorgt an und nimmt das Thema wieder auf. Warum mir
solche normalen Sachen, wie vor ihm aufs Klo gehen, so verdammt peinlich seien.
Mir leuchtet alles ein, was er sagt, das wir zusammen leben, das doch alles
dazu gehöre, oben rein, unten raus, und das wir doch auch Sex miteinander
hätten und damit doch bereits intim seien. Ich muss an einen guten Bekannten
denken, der eine einjährige Ausbildung zum Tantralehrer absolvierte. Damals
dachte ich, „Ach, das ist ja mal interessant. Da möchte ich auch mal
hospitieren.“ Doch dann erzählte er von den einzelnen Lektionen und von
diversen Übungen. An dem einen Wochenende mussten sie mit dem jeweiligen
Übungspartner/ in aufs Klo gehen, immer dann, wenn einer mal musste und zwar
bei „klein“ und „groß“ in die achtzig mal achtzig Zentimeter enge Klokabine!
Wie gesagt, das ganze Wochenende! Da ist nichts mit verdrücken! Den Sinn habe
ich schon damals nicht so ganz verstanden, irgendwas wie absolutes Annehmen von
allen körperlichen, keine falsche Scham, Intimität auf allen Ebenen. Na ja, wie
auch immer, ich bin froh, dass mein Tantrabekannter nie Hausaufgaben mit bekam,
und ebenso das Frank jetzt seine Predigt beendet und den Toyota verlässt, als
ich ihn darum bitte, denn ich muss dringend wieder aufs Klo. Mit kaltem Schweiß
an meinem Körper frage ich mich, was das ist, was so viele Frauen kennen. Ein
fest programmierter Glaubenssatz muss in
uns sein, der uns befiehlt: Mädchen rülpsen nicht, pupsen nicht, pullern nicht,
kacken nicht, schnarchen nicht und riechen auch nicht nach Schweiß. Und wenn,
dann nur ganz im Geheimen. Wann fängt der Unterschied an? Im Babyalter nicht,
da kenne ich mich aus, da wird sich über einen Rülpser, einen lauten Pubs und
eine volle Windel bei Mädel und Jungen gleichermaßen gefreut. Aber irgendwann
danach muss sich das ändern? Ändert sich das bewusst, weil Mütter oder Väter
ihre kleinen Mädchen ermahnen: Das tut
ein Mädchen nicht. Oder sind diese Sätze in uns aus einer zurück liegenden
Zeit, alt, überholt und doch so unglaublich präsent, ganz tief in uns gespeichert. Schon als kleines Mädchen
beschleunigte sich mein Herzschlag, wenn sich mir ein LKW von hinten näherte,
wenn dieser auch noch anhielt, erstarrte ich, eine irre Kälte breitete sich in
mir aus. Diese völlig unverständliche Panik bezüglich sich von hinten nähernder
LKW´s behielt ich bis in mein Erwachsenenleben hinein. Irgendwann dort begann
auch „der“ Albtraum. Als mir zwei Schulmediziner unabhängig voneinander sagten,
meine Vital - Werte seien lebensbedrohlich und das obwohl es keinerlei
Anzeichen für eine Krankheit gäbe, erwähnte ich diesen nächtlich bis zu dreimal
wiederkehrenden Traum, den damit verbundenen Schlafmangel und der
einhergehenden Kälte, die mich veranlasste bis zu dreimal nachts heiß zu
baden. Der eine Mediziner sah mich ernst
an, „Auch wenn es absurd klingt... Aber wenn sie diesen Traum nicht in den
Griff bekommen, dann ...“ , er zögerte ein zweites Mal, „werden sie das nicht
mehr lange überleben.“ Aber wie sollte ich einen Traum in den Griff bekommen,
dessen Anfang ich nicht kannte und vor dessen Ende ich jedes Mal Schweiß
gebadet, mit einem gefühlten Herzschlag von zweihundert aus dem Bett sprang.
Ich träumte Nacht für Nacht das „Mittelstück“ eines bis zum letzten Details
identischen Traumes. Ich probierte unendlich viel aus – Traumfänger, Baldriantee,
Entspannungstechniken, Akupunktur, chinesische Kräuter, Porzellanpflanzen im
Schlafzimmer verteilt. Ich kann mich gar nicht mehr an all die umgesetzten
Tipps erinnern. Dann entschloss ich mich für eine Hypnosebehandlung. Eine
Heilpraktikerin führte mich in den Schlaf ähnlichen Zustand, mit dem diffusen Auftrag in vergangene Leben zu
gehen. Nur mal nebenbei, ich war nicht einmal eine Prinzessin oder eine
berühmte Sängerin oder gar Kleopatra :-). Die Leben die ich „sah“ und noch einmal „durchlebte“ waren allesamt
von Armut gekennzeichnet. Ich klaute immerzu – in dem einen Leben um meinen
kranken Bruder zu versorgen, in einem anderen Leben um meine Kinder nicht
verhungern zu lassen, im dritten Leben brannte das armselige Haus nieder in dem
ich mit meiner Familie lebte. Als die Hypnotiseurin mich in weitere Leben
führen wollte, setzte ich mich auf und beendete damit die Sitzung selbst (ja,
das geht), bezahlte das Honorar und kehrte nie wieder zu dieser Heilpraktikerin
zurück, an deren Fähigkeiten ich berechtigt zweifelte und bereits nach dem
„ersten Leben“ auf der „Schlafcouch“ wusste, das bringt mich hier weder an den
Anfang meines Traumes, noch an sein Ende
und vor allem nicht über den Traum hinweg. Der Traum blieb, mir ging es
Woche für Woche schlechter, vor lauter Schlafmangel hörte ich manchmal schon
Schritte, wo keine sein konnten. Mein Überlebenstrieb führte mich noch einmal
in die Hände eines Hypnotiseurs. Diesmal suchte ich bewusst, las Referenzen,
fragte nach. Der Hypnotiseur gab mir vor und während der Hypnose sehr klare
Anweisung: Du gehst zum Anfang des Traumes und durch diesen hindurch. Nur
soviel, es war furchtbar. Da der Hypnotiseur auch andere in seiner Kunst
ausbildete waren wir nicht allein im Raum. Sechs „Zuschauer“, darunter ein Oberarzt
der inneren Medizin und eine Zahnärztin.
Einstimmig sagten die „Studenten“, es wäre ihnen das Blut in den Adern
gefroren, dazu hätten zum Ende des Traumes
plötzlich alle Hunde des Dorfes aufs Schrecklichste gejault. Einbildung, Scharlatanerie? Für mich zählt das
Ergebnis. Ich habe nie wieder den Traum
geträumt, nie wieder so gefroren in meinem Leben und meine Angst vor einem sich
von hinten nähernden LKW war von einem
Tag auf den anderen nicht mehr existent. Vieles kann unser Verstand nicht
erfassen, vor allem, wenn er westlich
geprägt/erzogen worden ist. Wenn ich als Hebamme mit alternativen
„Dingen“ einer Frau helfe, sage ich auch gern: Weder du, noch ich müssen das
jetzt verstehen, das einzig was zählt ist das es hilft.
Das war nur mal so einer kurzer „Schlenkerich“ in das
im Unbewussten gespeicherte. Da Frank und ich vor haben den Reiseblog als Buch
zu veröffentlichen, kann der oder die dann dort mehr erfahren, über den
„Hintergrund“ des Albtraumes, warum ein Schwan eine äußerst starker Bedeutung
für uns hat und manch anderes mehr, was hier nur angerissen wurde.
Den Tag verbringen wir am Pool und zwar auf der Liege, die dem Klo am
nächsten ist. Nichts mit lesen, schwimmen, schreiben, für mich bedeutet dieser
Tag, Klo, dösen, Klo, dösen, Klo, dösen, während Frank liest, schwimmt, mit
Freddy Runden dreht und mich immer wieder in seine Arme nimmt. Noch bevor die
Sonne untergeht liege ich in unserem Dachzelt, während Frank mit Freddy zu
einem Ort läuft, der, wie er mir später sagt, mehr einem Slum ähnelte als einem
Dorf. Ich bin so erschöpft, das ich
Sonnenuntergang, Frank und Freddys Heimkehr und auch den Sternenhimmel
verschlafe.
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