Freitag, 23. September 2016

Marokko Reise 2016 - Dienstag, den 19.04.2016

Heike
Dienstag, 20. Reisetag
 
Eine Stadt in der Märchen spielten, Märchenerzähler leben und die als märchenhaft bezeichnet wird


Am frühen Morgen kräht der Zeltplatz Hahn, bis dahin absolute Ruhe - keine nächtlich herum motzenden Esel, keine so stark funkelnden Sterne wie in der Wüste, die laut rufen: Wacht auf und schaut uns an. Wir haben unser allerschönstes Kleid angelegt.Mit verstummen des Hahnes kuscheln wir uns nur noch mehr aneinander und dösen noch einmal ein. Später, nachdem aufstehen wollen wir im Pool schwimmen, doch der wird zwischen sieben und acht Uhr gereinigt.

Wir gehen mit Freddy auf eine kurze Gassirunde außerhalb des Zeltplatzes (der Müll ist tatsächlich noch an gewachsen), kaufen Fladenbrot (Frank), bereiten das Frühstück zu (Heike) und frühstücken. In, um und an den drei Toyotas neben uns tut sich weiterhin nichts.
Wir verkrümeln uns nach getaner „Hausarbeit“ in Richtung Pool, binden Freddy an einen Baum direkt neben unserer gemütlichen Doppel – Liege fest und lesen, schwimmen, schreiben, schwimmen, dösen, kuscheln. Die Faulheit schlägt zu – wir könnten den ganzen Tag so verbringen. Wenn da Freddys Augen nicht wären, die rufen: Mir ist so langweilig. Bitte, lasst uns mal wieder eine Runde spazieren gehen.
Auf dem hinteren Teil des Zeltplatzes sind die meisten Parzellen leer, dort lassen wir Freddy von der Leine, um mit ihm sein Lieblingsspiel zu spielen: Stöckchen werfen und bringen, werfen, bringen, werfen, bringen ..... Freddy könnte das bis zum umfallen spielen, allerdings ist das noch nie vorgekommen, weil zuvor die Arme des Werfers streiken oder sich in Krämpfen verrenken. Wir besuchen die Reiseblogger von „Wir sind Veg“ (Veg für

Veganer, veg für weg). Ihren Blog bzw. ihre YouTube Videos hat Frank sich zuvor in Deutschland angesehen und hat per Mail mit den Beiden Kontakt aufgenommen. Daher weiß er auch, dass sie für mehrere Wochen hier auf dem Zeltplatz angelandet sind.Wir quatschen eine Zeitlang, dann knurrt unser Magen. Mittagszeit. Ich schnipple gerade Salat als ein Pärchen grinsend neben mir steht. Irgendwie weiß ich, sie müssen zu einem der drei Toyotas gehören. Es geht wieder los, mit den: „Hallo... Wo kommt hier her ...wo wollt ihr hin... wir kommen
von dort und fahren nach da.....“ Der Mann ist wie Frank Nordafrika bewandert und hat ebenso etliche Wüstenerfahrungen. Er war ebenfalls schon mehrmals mit seinem Toyota in Tunesien, Marokko, Algerien, Libyen. Für die Frau ist es, wie bei mir, die erste Nordafrika Reise. Wie ich kämpfte sie zuvor mit eigenen und fremden Ängsten, Zweifeln und Vorurteilen. Plötzlich stehen Tränen in den blaugrauen Augen der rothaarigen Frau, die ich jetzt einfach mal Diana nenne. Sie stammelt, „Mich haut das hier alles so um ... Jeden Tag geschieht ein anderes wunderbares Erlebnis. Das....das....“ Ich nicke, ja vieles geschieht hier was sich schwer in Worte fassen lässt, arg strapazierte Adjektive wie märchenhaft müssen herhalten, weil sich kein anderes finden lassen will. Es ist so vieles was berührt, verwundert, so viele kleine und große Erlebnisse die sich aneinander reihen, wie die Perlen einer buddhistische Gebetskette. Diana erzählt weiter (die Männer schauen angesichts ihrer Tränen kurz verunsichert und tauschen dann weiter ihre Wüstenerfahrungen aus) Thomas und sie wären erst seit fünf Jahren ein Paar und solange hätte ihr Mann schon gewollt, das sie Marokko bereisen aber stets sei etwas dazwischen gekommen, der Urlaub sei ihr kurzfristig gestrichen oder sie sei krank geworden. Vielleicht, so sinniert sie, hätten einfach auch nur ihre Ängste die Reise solange verhindert. Ich nicke erneut, denn mittlerweile bin ich überzeugt, dass das was in unserem Inneren vorgeht sich im Außen zeigt. So eine Art Anziehungsgesetz. Für mich zählt es daher zur „hohen Kunst“ die eigenen Gedanken zu kontrollieren – was will ich, wo will ich hin, und die destruktiven – Ach, das schaffe ich eh nicht, das geht doch eh schief, dafür bin ich zu jung, zu alt...... einzudämmen bis gar auszulöschen (ich bin beim eindämmen angekommen). Ebenso ist es für mich „hohe Kunst“ nach Formulierung der eigenen Ziele/Absichten sich entspannt nach hinten zu lehnen und vertrauensvoll abzuwarten. Vieles wird in diesem unverkrampften Zustand eintreten, manchmal schneller als einem recht ist, manchmal erst nach Jahrzehnten. Da brauche ich bloß an meinem Traum von „mit dem Jeep durch Afrika reisen“ zu erinnern. Ich bin noch ganz in Gedanken als ich bemerke: Oh, diese in den Augen glitzernden Tränen sind jetzt aber keine Glückstränen mehr. „Weißt du“, wischt sich Diana Tränen aus den Augen, „Wir sind in einer kleinen Gruppe unterwegs, mit der Thomas bereits seit Jahren durch Nordafrika reist. Die Gruppe besteht aus einer Frau, einem Pärchen und Thomas, der vor mir mit seiner Exfrau reiste. Alle zwischen vierzig und fünfzig. Ich bin, wie schon gesagt, das erste Mal dabei und ...“, sie bricht ab, „Ich … ich fühle mich schuldig. Dabei habe ich mir solche Mühe gegeben. Aber es hat einfach nicht funktioniert. Nach einer Woche haben wir uns als Gruppe getrennt und einen Tag vor unserer Heimreise haben wir uns hier wieder getroffen. Gestern waren wir mit dem Taxi in Marrakesch. Allerdings sind wir dort auch wieder getrennte Wege gegangen. “ „Was ist denn schief gelaufen?“, frage ich nach. Sie zuckt mit den Schultern, „Ich weiß es nicht. Die Frauen haben mich von Tag zu Tag immer weniger beachtet, es gab spitze Bemerkungen oder plötzliches Schweigen, wenn ich dazu kam. Eine feindselige Stimmung baute sich auf. Wogegen Fred (ich habe diesen fremden Mann jetzt einfach mal den Namen verpasst) gern sagt, Thomas hätte mit mir einen Glücksgriff gemacht, da ich so unkompliziert sei und immer gute Laune hätte. Ich verstehe das nicht.“ Betroffenheit ist in mir. Das Ganze ist mir vertraut. Klingt nach Unzufriedenheit und daraus konsultierendem Neid und Missgunst. Mir scheint es ja so, dass es wesentlich mehr vom weiblichen als von männlichen Geschlecht gibt, die Frau Missgunst und Herrn Neid die Tür öffnen. (Frank sagt, es gäbe auch etliche Männer. Ich denke, Männer haben mehr das Thema "größer - weiter - besser". Frank sagt dazu.... Mal ganz ehrlich, unsere abendlichen Diskussionen sind manchmal einfach nur herrlich, würden jedoch den Rahmen sprengen) Bei Männern dagegen sagt oft die ganze Körpersprache: Was ich nicht habe, habe ich eben nicht. Und um was ich nicht habe, brauche ich mir auch keine Gedanken zu machen. Nur leider begreifen die wenigsten Männer, das es ein Fehler ist, die „Zickigkeit“, die dann manche Frau an den Tag legt „aussitzen“ zu wollen. Hilfreicher wäre doch, wenn Fred zu seiner Frau sagen würde: Wir haben uns entschieden als Gruppe unterwegs zu sein und damit sitzen wir alle im gleichen Boot. Hör auf, dich mit … zu verbünden, um Diana auszugrenzen, nur weil du das Gefühl hast gerade irgendwo zu kurz zu kommen. Sag, was dir fehlt und dann schauen wir, wie wir diesen Mangel beheben können“. Aber was sagen die meisten Männer stattdessen? Richtig. Sie sagen, „Das klärt sich schon von alleine.“ Ja, mag sein. Aber ist die Klärung auch in einem konstruktiven Sinn oder liegen am Ende nur Scherben da, die sich nicht mehr aneinander fügen wollen? Für mich ist aussitzen immer ein wenig wie Russisch Roulette. Kann gut gehen, kann nicht. Besser finde ich, Probleme offen anzusprechen, unter dem Motto: Wo sich nichts aufblasen kann, kann auch nichts explodieren. Und dann auch zuzuhören, denn dabei wird das „Problem“ meistens als Missverständnis entlarvt und manchmal eben leider auch als Neid. Da sind die „Karten“ allerdings meistens mies (obwohl das nicht heißt, man sollte es nicht zumindest probieren, mit dem sogenannten „Spiegel“ vorhalten). Denn allzu oft sitzt ein neidischer Mensch auf seine Ohren, ist nur selten bereit seinen Blickwinkel zu verändern, sich mitfreuen geht meistens gar nicht und schwierig ist auch die Konfrontation mit Fragen, wie: „Wenn du so dermaßen ablehnst, was dein Gegenüber hat, tut, lebt, – warum steckst du dann so viel Aufmerksamkeit und Leidenschaft hinein?!“. Neid und Missgunst tut demjenigen weh gegen den der Neid gerichtet wird, aber es schadet ebenso dem „Sender“ selbst. Denn was erreicht er damit? Im besten Fall nichts, im mittleren Fall, dass er sich dabei selbst unbehaglich fühlt, im schlimmsten Fall das seine eigenen gehässigen Gedanken sich gegen ihn selbst richten. Die Lösung wäre doch eher, sich mit seinen Mitmenschen mit zu freuen und sich ganz ehrlich zu wünschen, dass dieses Glück auch zu einem selbst findet, und dann dem Anziehungsgesetz zu vertrauen. :-) Ich sage zu Diana, „Hast du dir schon mal überlegt, dass es gar nicht an dir liegen könnte? Ihr macht auf mich als Paar einen sehr glücklichen harmonischen Eindruck. Es gibt Menschen die sich daran mit erfreuen. Und Menschen denen das ein Dorn im Auge ist. Unter dem Motto was ich selbst nicht habe und doch so gern hätte, will ich beim anderen auch nicht sehen.“ In Gedanken füge ich hinzu: Ein verliebtes Pärchen ist allerdings auch oftmals für sein Umfeld eine arge Herauforderung, vor allem wenn die Verliebtheit über Jahre andauert. Wir wissen ja alle, wie wir in diesem Zustand sind - aufgedreht, euphorisch, wunderlich und manchmal auch sehr albern, Sie nickt, „Das sagt mein Schatz auch.“ Wieder fällt mir ein Spruch ein. Es heißt, Freunde erkenne man in der Not. Ich finde, es müsste heißen, Freunde erkennst du daran, ob sie dir in der Not beistehen (was manchmal auch bedeutet, sie fühlen sich angesichts deines Unglückes selbst glücklicher, angesichts deiner Schwäche selbst stärker), und ebenso, ob sie dich auch dann noch mögen, wenn du gerade auf der absoluten Sonnenseite deines Lebens stehst. Die rothaarige Diana bleibt traurig. Auch das ist mir vertraut. Auch ich habe lange an solchen Situationen zu tragen, kann es nicht so rasch abschütteln. Mir fällt ein, wie Frank mal zu mir sagte: „Zeig unser Glück nicht so offensichtlich. Das kann andere Menschen böse machen.“ Mein Vater predigte dagegen uns Kindern gern: „Zeigt bloß niemanden, wenn es euch mal schlecht geht! Menschen heucheln vor euren Augen Mitgefühl und kaum hast du dich umgedreht hauen sie sich vor Schadenfreude auf die Oberschenkel.“ Ich bin da wohl Beratungsresistent. Wenn ich traurig bin, dann bin ich es, wenn ich glücklich bin, zeige ich auch das. Die rothaarige Frau hat entweder nie solche Beratungen erhalten oder saß dabei wie ich auf taube Ohren.
„Heike“, ermahnt mich Frank, „wir müssen noch essen und aufräumen. Unser Taxi kommt in einer Stunde.“ „Diana! Unsere Fähre wartet nicht auf uns. Wir sollten jetzt langsam mal los fahren.“ Ich schaue in den Himmel. Aufziehende graue Wolken. Gut so, dann kann es Freddy im Auto auch nicht zu warm werden, während wir uns Marrakesch anschauen, eine Stadt in der Märchen spielten, Märchenerzähler leben und die oft als märchenhaft bezeichnet wird.
Unser Taxi verspätet sich um eine Viertelstunde. Der Fahrer geht mir gerade mal bis zur Brust und obwohl es warm ist (trotz immer dichter werdenden Wolken) trägt er eine Jacke aus Plüsch, mit dem Muster einer uralten Sofadecke, darunter ein Pullover aus Fleece. Wir dagegen schwitzen bereits in unseren dünnen langärmligen Hemden. Laut Frank fährt der kleine Mann digital. „Was das bedeutet?“ Das habe ich ihn auch gefragt, aber nicht verstanden. Er sagte, „Rauf aufs Gas und sofort wieder runter.“ Mir wird jedenfalls schlecht, egal ob digital oder vertikal. Denn so sehe ich das. Er ist so klein, das er sich aller paar Meter nach oben stemmt, um besser sehen zu können, nur belässt er dabei seinen Fuß auf dem Gaspedal. Dann wird es ihm zu schnell, er sinkt zurück in seinen Sitz und bremst abrupt.
Nach vierzig Minuten ist das Zentrum erreicht. Unser Taxifahrer will unser Geld erst bei der Rücktour. Insgesamt werden wir 150 Dirham bezahlen, Hinfahrt 60 Dirham da Tag, Rückfahrt 90 Dirham da 22.00 Uhr/Nacht.
Im Reiseführer habe ich mir einen Garten vermerkt, einen Palast und natürlich den Platz der Gehängten, der 2008 in die UNESCO Meisterliste des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit aufgenommen wurde. Im Arabischen heißt der Platz „Djemaa el Fna“, was auch mit Versammlung der Toten übersetzt werden kann. Da einst einige Sultane den Platz als Hinrichtungsstätte „nutzten“ und aufgespießte Köpfe zur Schau stellten.
Wir laufen durch enge Gassen hindurch, die eine Gasse scheint den getrockneten Datteln-, Feigen- und Nusshändlern zu gehören, in einer anderen wird nur Obst & Gemüse feilgeboten, wieder eine andere bietet nur Gewürze. Manche Händler haben einen Laden, andere einen kleinen Stand, wieder andere nur Decken, auf denen sie sitzen und ihre Ware liegt, sitzt, steht – je nachdem. Alles von Dutzenden Fliegen überflogen.
Wir kommen an einer Garage vorbei, in der Frank schon öfters sein Fahrzeug abstellte. Vorteil: man braucht kein Taxi & der Parkplatz ist bewacht; Nachteil: die Autos werden dicht an dicht abgestellt (von den Betreibern), Frank sagt man könnte schon sagen, sie werden gestapelt, also die Gefahr von kleinen und großen Kratzern ist nicht unerheblich. Und dann sind wir schon auf den Platz der Gehängten. Das Leben und nicht der Tod pulsiert um uns herum, statt aufgespießte Köpfe gibt es Schlangenbeschwörer nach deren Flöten sich Kobras aufrichten, die traditionellen Wasserverkäufer in ihren bunten Kostümen, Männer die Affen in Kindersachen an Ketten halten, Männer mit angeleinten Greifvögeln, etliche Akrobaten, Musiker und vorwiegend ältere Frauen die ihre Henna – Mal – Künste anbieten, Saftstände mit frisch ausgepressten Apfelsinen, Grapefruits, Erdbeeren und wieder die Dattel, Mandel, Nussverkäufer.
Frank möchte ins Cafe`Argana, welches eine große Terrasse hat von der man den gesamten Platz der Gehängten einsehen kann und das durch das Bombenattentat von 2011 in die Schlagzeilen geriet. Mir ist dabei ein wenig mulmig zumute, hier sind etliche Menschen ums Leben gekommen oder schlimm verletzt wurden. Angst habe ich weniger, denn eine Wiederholung eines Attentats am gleichen Ort ist eher unwahrscheinlich. Das Cafe´ ist so dermaßen schmuddelig, das es mich ekelt.
Als der Tee kommt (man zahlt Eintritt und kann dafür zwischen einem Softdrink oder einem Tee wählen) schiebe ich ihn nach einem einzigen Schluck von mir. Frank trinkt Cola mit Trinkhalm - eine gute Wahl. Wir beobachten das Leben von hier oben und sind erstaunt, dass sich Touristen und Einheimische die Waage halten, nicht nur von der Anzahl her gesehen, die über den Platz wandeln sondern auch was das Annehmen der Dienstleistungen betrifft. Nach einer halben Stunde suchen wir uns den Weg zum Garten Les Jardins. Die Tore schließen sich vor unseren Augen – zu
spät :-(. Dafür schiebt sich gerade die Sonne durch die Wolken, ganz so als würde sie sich zum Guten Nacht Gruß noch einmal blicken lassen wollen, bevor es ab ins himmlische Bett geht. Sie beleuchtet auf mystischer Weise das Wahrzeichen der Stadt die Koutoubia – Moschee. Wir bestaunen Moschee & Sonnenuntergang, genießen die relative Ruhe hier, knipsen Bilder und vergessen dabei dass
wir uns noch einen Palast anschauen wollten. Stattdessen steuern wir die berühmten Souks von Marrakesch an. Orientalisch, bunt, quirlig. Aber auch anstrengend, konkret den Blick geradeaus zu halten, nur heimlich nach rechts und links zu schielen, äußerst unhöflich den Mund zusammen zu pressen. Kurzum das Gesicht im Pokerface einzufrieren. Denn aller einen halben Meter ruft jemand, „Where are you from. Franzose, Albani...? How are you. hello, look, nichts kosten. Warum du nicht mit mir sprechen...Hello, hello, come in...“. Auch nur ein direkter Blick auf die Ware, ein Hallo zurück, ein „Nein, Danke“ wird als Kaufabsicht gewertet und damit hat man den Händler an der „Backe“. Entspannend sind die wenigen Läden, in denen Händler stehen, die einen in Ruhe lassen, dort gehen wir hinein, schauen uns um und kaufen bei dem einen Duftsteine und bei dem Anderen einen Rucksack für mich.
Danach geht es wieder zum Platz der Gehängten, der einen kompletten Wandel durchzogen hat. Zum einen wird der Platz jetzt von sehr vielen überdachten Garständen dominiert (die werden täglich am Abend neu aufgebaut und irgendwann nachts wieder abgebaut), zum anderen ist alles in ein einziges Lichtermeer gehüllt. Die Schlangenbeschwörer, Affen- und Greifvogelhalter, Henna – Malerinnen sind verschwunden, dafür gibt es jetzt etliche Märchenerzähler, Musikanten und Wahrsagerinnen. Jeden Abend, so haben wir im Reiseführer gelesen kommen die Einheimischen hier her, um der Musik und den Märchen zu lauschen und sich ab und an in die Hände und Augen schauen zu lassen. Es ist ihr abendliches „fernsehen schauen“. Auch wir stellen uns bei dem einen oder anderen dazu. Aber da wir kein arabisch können, verstehen wir auch nichts. Schade! Denn ich liebe Märchen. Mich erinnert das Ganze ein wenig an den Hydepark in London. An die Speakers Conners. Wie aus dem Nichts stellt sich plötzlich ein Mann, eine Frau auf eine Kiste oder eine Trittleiter und fängt an eine politische Rede zu halten. Je nachdem wie fesselnd diese ist gesellen sich viele, wenige oder gar keine Zuhörer um den Redner herum.
Die Garstände auf dem Platz der Gehängten sind zumeist ähnlich aufgebaut. In der Mitte eines Standes befinden sich ein großer Grill sowie ein großer Topf mit heißem Öl, rundherum sind für die Esser Tische und Bänke aufgebaut. Die Bänke sind alle zur Mitte ausgerichtet, damit jeder Gast einen Blick auf Grill und Köche erhält, sowie auf den Bereich, auf dem die dargeboten „Leckerbissen“ angerichtet werden. Es gibt reine Fleischstände - gebratenes Lamm, Kaninchen, Huhn, dazu oft gekochte Köpfe, Innereien und als „dekorativer“ Abschluss kleine Gehirne, deren einstigen Besitzer ich nicht zuordnen kann. Dann reine Fischstände - Rotbarsch, Scampis, kleine flache Fische wie Flundern aber länglicher, Muscheln. Dazu - egal ob Fisch oder Fleisch - Beilagen, meistens bestehend aus gebratenen Auberginen, Paprikas, Peperoni, Fladenbrot und Pommes. Weiterhin gibt es noch Stände mit Muscheln in einem Sud gekocht und in einer Art Tasse serviert sowie Stände mit vor sich hin köchelnden Tajinen und Stände, an denen frisch gegrilltes Fladenbrot mit Frischkäse bestrichen und mit Zwiebel, Tomate und sehr viel Ei belegt wird. Wir entscheiden uns für Fisch, bestellen per Fingerzeig, bekommen statt Teller jeder ein Stück Papier (die Einheimischen bekommen nur ein halbes), dazu Fladenbrot, was als Besteck und zugleich zum Essen dient (kennen wir ja schon von der Einladung der Schulklasse im hohen Atlas), weiterhin gehört zum Standard ein Stück Zitrone, zwei gegrillte Peperoni und zwei gegrillte Paprikas.
Anschließend gehen wir noch an einen anderen Stand, bestellen einen Gewürztee und ein Stück Kuchen. Beides ist schön anzusehen, herrlich zu riechen aber für uns ungenießbar. Im Tee zu viele starke Gewürze, im Kuchen zu viel Zucker. So, das ist die neutrale Sicht. Die auch Frank bis auf wenige Ausnahmen so wieder geben würde. Er mag Marrakesch, bereist die Stadt jedes Mal, wenn er in Marokko ist. Meine Sicht? Ich kann es kurz machen, indem ich sage: Ich möchte nicht wieder hier her. Ich verstehe jetzt, wenn es heißt, kein Land würde mehr polarisieren wie Marokko. Es gäbe die Gruppe, die sagt, „Marokko nie wieder“ und die, die sagt, „Marokko immer wieder“. Bis Marrakesch dachte ich immer, wie kann jemand Marokko nicht lieben? Diese wundervollen atemberaubenden Landschaften, die ehrlichen, zurückhaltenden Menschen. Jetzt denke ich, wenn jemand nach Marokko reist, irgendwo am Meer in einem Hotel logiert, (die auf der ganzen Welt sehr ähnlich sind) und ab und an einen Ausflug bucht, dann kann es leicht passieren, dass derjenige sagt: Nie wieder Marokko. Dieser Mensch braucht nur in Ouarzazate im schmuddeligen Restaurant der Kasbah gegenüber „abgesetzt“ zu werden, in der Wüste an einen überteuerten Ausflug teilgenommen zu haben oder eben nach Marrakesch gekommen zu sein.
Die längere Sicht?! Ich sehe die Tiere und ich sehe deren Leid. Gefangene Schlangen, denen man den Giftzahn gezogen hat und ihrer Freiheit beraubt, Greifvögel deren Flügel gestutzt wurden und die an Ketten angelegt sind, Affen in albernen Kostümen, an Ketten, in Käfigen. Ich verspüre während des ganzen Ausfluges Anspannung, zwischendurch Wut, Ablehnung, Ekel, starke Trauer. Zu den gequälten Tieren gibt es auch noch so viele gebrochene Menschen. Bettler mit stumpfen Blick, blind oder mit verrenkten Gliedmaßen. Bettelnde Mütter die so verhärmt aussehen, wie ihre Kinder vor Dreck strotzen. Die alten Frauen die Kundinnen an Händen und Füßen mit Henna bemalen sehen so müde, so resigniert aus, dass ich irgendwann nicht mehr hinschauen kann. Dazu ekelt es mich hier vor etlichen Männern - kalte, finstere Augen, die einen anschauen, wie ein Stück Fleisch. Die Werber der Garküchen sind in ihrer Aufdringlichkeit nicht mehr zu überbieten. Sie quatschen einen fortwährend an, versuchen einen am Arm an ihren Garstand zu ziehen. „Don`t touch me!“, wird überhört und ehrlich gesagt habe ich mir selten so sehr gewünscht Träger des schwarzen Judo -Gürtels zu sein.
Der Platz der Gehängten für mich ein einziger Slalomlauf: Mist, da kommt wieder einer mit einer Schlange - ausweichen, damit wir nicht plötzlich eine Schlange um den Hals tragen und eine weitere um unser Handgelenk; dort die Männer mit den Affen und den Greifvögeln - ausweichen, damit uns nicht so ein armes Tier auf Kopf oder Schulter gesetzt wird.
Nach dem Essen in der Garküche ist es für mich ganz vorbei, denn auf dem Weg von dort weg, werde ich gleich dreimal von irgendwelchen Männern an den Po gegrabscht, die eine Hand rutscht noch tiefer. Ich erstarre, glaube mich übergeben zu müssen, klammere mich an Frank fest. Irgendwann bleibt Frank stehen, „Du fühlst dich dermaßen kalt an und wenn du mehr Kraft hättest, wäre mein Hand jetzt Mus. Was ist denn nur los?“ Das einzige was ich zunächst sagen kann, ist, „Ich will hier weg!“ Dann fließen die Tränen. Frank schaut mich fassungslos an, das was ich erzähle, belastet ihn und zum anderen passt es so gar nicht in sein Bild von seinem geliebten Nordafrika. Wir verlassen den Platz und kommen dabei über den Platz mit den Pferdekutschen, fünfzig sind es bestimmt, alle aneinandergereiht im Halbkreis stehend. Auf dem ersten Blick ein tolles Bild. Bunte Kutschen, davor je zwei Pferde, die zwar nicht viel aber doch einiges auf den Rippen haben. Wer ein wenig Ahnung von Pferden hat, weiß, dass Pferde sehr neugierig und meist auch kuschelbedürftig sind. Diese Pferde hier sind nicht mehr neugierig und sie fallen ganz sicherlich nachts in einen erschöpften Schlaf ohne Kuscheleinheiten. Wie von Geisterhand schließt eine Kutsche zur Anderen auf. Geisterhand deswegen, weil es keinen Kutscher gibt, der die Zügel in der Hand hält oder überhaupt auf der Kutsche sitzt. Wenn eine Kutsche gebucht wird, steigt der Fahrer dazu, nimmt die Zügel auf und fährt davon. Die nachfolgenden Kutschen schließen auf. Und das, so erfahren wir, von früh zehn Uhr bis nachts zehn Uhr. Die Bewegungen der Pferde sind mechanisch, müde, ihr Blick tief resigniert, traurig oder leer. Plötzlich klafft eine Lücke. Zwei Pferde haben vergessen aufzuschließen. Ich kann nicht anders als an diese Kutsche heran zu treten. Ich berühre das eine Pferd an der Stirn, im gleichen Moment schmiegt es sich an mich oder korrekter es sackt in meine Hand hinein und schließt seine Augen. Die körperliche Erschöpfung des Pferdes ist körperlich spürbar für mich. Einbildung? Ausgeschlossen. Seit meiner Kindheit habe ich einen guten Draht zu Tieren. Frank war anfangs erstaunt. Ich muss da gerade an einen kleinen Vogel denken, er hockte unweit von Frank der sich mit zwei Handwerkern unterhielt. Ich kam zu dieser Besprechung hinzu, sah den Vogel, hob ihn auf und hielt ihn in meinen Händen, an meine Brust gedrückt. Für einen Moment stockte die Besprechung. Die Männer sahen mich verwundert an. Frank sagte mir später, er konnte in dem Moment nicht glauben, dass ich einfach so einen Wildvogel anhob, ohne Berührungsängste oder der Angst vor Krankheiten. Die Besprechung ging ihrem Ende zu, ich spürte, wie sich der Vogel in meiner Hand regte, also öffnete ich die Hand, der Vogel blieb noch einen Moment sitzen, als würde er Danke sagen wollen, dann flog er davon. Was auch immer mit ihm los war, ob er gegen eine Scheibe gestürzt war und benommen zu Fall kam, er brauchte in diesem Moment Schutz und Wärme, ich gab sie ihm und er nahm sie an. Für diese Pferde reicht kein kurzes „auftanken“, dafür arbeiten sie zu hart, zu stupid, jenseits von ihrer Natur entfernt. Ich führe das Pferd die wenigen Meter bis zur anderen Kutsche heran, streichle es noch einmal. Starke Hilflosigkeit ist in mir. „Wir wollten noch Gemüse kaufen“, holt mich Frank aus meinen trüben Gedanken. Doch alle Läden um den Platz der Gehängten herum, die Obst und Gemüse anbieten sind bereits geschlossen. Wir fragen uns durch und erfahren, dass es noch einen kleinen offenen Souk für Gemüse gäbe, eine Viertelstunde zu Fuß entfernt. Wir folgen der uns aufgezeigten Richtung. Und jetzt passiert etwas Komisches. Es wird dunkler, es wird Menschenleerer. Ich entspanne mich. Denn keiner beachtet uns hier mehr, keiner will uns mehr was verkaufen, keiner kommt auch nur so weit in meine Nähe, das er mich begrabschen könnte. Und was sagt Frank?! „Du willst hier echt weiter gehen?! Mal ganz ehrlich, finsterer und abgeschiedener geht es nimmer! Ich bezweifle das hier noch ein Souk kommt.“ Ich atme tief durch. In mir ist alles ruhig, kein Gefühl von Gefahr, wie ich sie die ganze Zeit im Zentrum von Marrakesch fühlte. Ich sage, „Der Souk wird schon gleich kommen.“ Und er kommt. Klein, überschaubar, Bauern die ihre Waren verkaufen und niemand der uns zusätzlich etwas auf drängeln will.
Als wir mit fünf Minuten Verspätung am Taxi ankommen, schaut unser Taxifahrer erst erstaunt, dann lacht er. Er sagt, aus dieser Richtung sei noch nie ein Tourist gekommen. Wir fahren zum Zeltplatz zurück und es ist mir egal, ob der Mann digital, vertikal oder sonst wie fährt. Er bringt uns zurück, weg vom Zentrum, zu unserem Freddy und unserem Toyota.

2 Kommentare:

  1. Die Fotos sind erste Sahne, die Informationen zu den Orten mit den Koordinaten und sonstigen Hinweisen und Tipps sind sehr hilfreich. Auf die langatmigen und gefühlsduseligen Berichte könnte ich getrost verzichten. Kurze und prägnante Beschreibungen wären mir erheblich lieber

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  2. Hallo Unbekannter,

    leider hast Du vergessen Deinen Namen unter Deinen Kommentar zu setzen, aber sowas kann schonmal passieren.

    Selbstverständlich muß nicht jedem Leser der Schreibstil eines Autors gefallen, aber der Leser muß es ja auch nicht lesen.

    Du schreibst: "Auf die langatmigen und gefühlsduseligen Berichte könnte ich getrost verzichten. Kurze und prägnante Beschreibungen wären mir erheblich lieber". Genau deshalb haben die beiden Autoren ja fast für jeden Tag die Beiträge in einen reinen Informationsteil und einen gefühlsbetonteren Teil getrennt. Lies doch einfach nur den Foto+Info-Teil.


    Gruß

    Rocky

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