Montag, 11. Juli 2016

Marokko Reise 2016 - Freitag, den 15.04.2016 Teil I

Heike
Freitag, 16. Reisetag – Teil I

„Tea time“ in der Autowerkstatt. Haben eigentlich alle Frauen Schwierigkeiten mit Entscheidungen?
    
Heute schlafen wir bis nach Sonnenaufgang. Ein Garten umzingelt von Mauern und Pflanzen hat zwar seinen Reiz 
aber zum Anschauen der aufgehenden Sonne ist er leider ungeeignet. Auf meinen Schultern lastet die Entscheidung, wann und wie weiter. Ich denke ja immer, das ist ein typisches Frauenproblem, das mit dem schwer entscheiden können. Männer (jedenfalls die ich kenne) treffen nicht nur schneller eine Entscheidung, siebleiben ihrem eingeschlagenen Weg (in aller Regel) auch treu. Wenn sich dabei ein Hindernis einstellt, holen sie Anlauf und überspringen es oder sie suchen nach Lösungen, wie das Hindernis zu beheben sei.
Wir Frauen wenden dem Hindernis als erstes unseren Rücken zu, schauen zurück, zweifeln: Ach, jetzt bin ich Weg A gegangen, womöglich wäre Weg B doch besser gewesen. Allein das Thema Bestellung im Restaurant. Welche Frau kennt das nicht? Wir schauen uns die Speisekarte rauf und runter an - vieles klingt so verlockend, doch was nur nehmen? Haben wir uns endlich entschieden, hadern einige von uns immer noch. War das wirklich die beste Wahl? Vielleicht hätte ich ja doch....... Wenn die Speisen kommen, schielen wir auf den Teller unseres Mannes, denken, das sieht ja viel leckerer aus als meins und schwuppdiwupp schnappt sich unsere Gabel einen Happen davon.
Frank scheint mein „Problem“ zu erkennen und geht jetzt in die „Therapeuten-rolle“, was bedeutet, kein Drängeln, kein Beeinflussen, kein Abnehmen der Entscheidung. Ob Uli das Frauen – Problem auch kennt? Anzunehmen. Denn beim Frühstück sagt er, „Also, wenn ihr die Wüstentour macht, sind wir auf jeden Fall dabei.“ Frank antwortet, „Die Entscheidung trifft Heike. Sie kennt Freddy am besten.“ Und dann?! Nichts mehr! Kein Überreden, kein schön reden. Uli schweigt. Gisela meint, sie wisse nicht, ob sie wirklich Lust hätte auf eine weitere Wüstentour, so gleich im Anschluss an den „Ritt“ vom Erg Chebbi nach Zagora. Es wäre ja verlockend aber rüber fahren zum Atlantik auch. Mm... wenn das nicht nach meinem Gebirge, Wüste, Gebirge, Wüste klingt. Leider wachsen hier keine Margeriten, denen wir die Blütenblätter ausreißen könnten. Nachdem Frühstück versorgen wir den „Haushalt“, was bedeutet, Sachen waschen und Fahrzeug-Innenkabine reinigen. Die Zeit meines Hammam Termin´s rückt näher. Frank will in dieser Zeit in die Werkstatt fahren, da am Toyota die Ablassschraube vom Luftdruckkessel abgebrochen ist. Aber derzeit liegt er in der Hängematte, ich liege mit Freddy auf der Decke daneben, Gisela und Uli machen den Sprinter Startklar. Uli kommt zu uns, „Wir fahren jetzt die zehn Kilometer bis nach Tamegroute, bummeln durch einige Keramik-Werkstätten und schauen uns die sehenswerte Bibliothek mit alten Koranschriften an.“ Er macht eine kurze Pause, „Wir bleiben dort für drei Stunden. Die Stadt liegt auf dem Weg nach M’Hamid. Wenn ihr euch für die Wüste entscheidet, müsst ihr durch Tamegroute hindurch. Wenn von euch keine SMS kommt, nehmen wir die Straße zum Atlantik.“
Es ist komisch sich nach diesen intensiven gemeinsamen Tagen & Nächten zu verabschieden, und nicht zu wissen, ob wir uns wieder sehen. Blöd ist, dass ich keine Entscheidung hinbekomme. Der Sprinter rollt vom Platz, wir gehen zum Pool. Auf meinen Hammam Besuch habe ich keine Lust mehr, allein schon deshalb, weil ich so sehr die Zweisamkeit mit Frank genieße. Eine Stunde faulenzen – Ach, wie schön so am Pool sitzen, Kaffee trinken, baden, lesen. Die zweite Stunde bricht an, Frank sagt, „Wir können auch den ganzen Tag hier bleiben, und dann morgen früh zusammen in die Werkstatt fahren, bevor wir Richtung Marrakesch aufbrechen.“ Marrakesch, das ist Richtung zurück, Richtung Tanger, Richtung zu Hause. Plötzlich weiß ich, das will ich nicht. Ich will auch nicht einen ganzen Tag am Pool sitzen. Ich sehe Frank an, „Wir packen jetzt ein, schicken Uli und Gisela eine SMS, das wir auf dem Weg sind, fahren in die Werkstatt und dann in die Wüste.“ „Bist du dir sicher?“, schaut mich Frank zweifelnd an. Aber hinten in seinen Augen sehe ich eindeutig ein Strahlen. „Was ist mit Freddy?“
„Wir fahren auch wegen Freddy. Umso dichter ein Ort bevölkert ist, um so mehr müssen wir ihn an die Leine nehmen.“ Meine Gedanken wandern dabei zu unserem haarigen Kind, das am Toyota auf seiner Decke liegt, angebunden, seiner Freiheit beraubt. Mag sein, dass er manche Autofahrt als anstrengend empfindet, die Freiheit in der Wüste ist dafür doppelt so schön. Fast schlage ich meine flache Hand gegen meine Stirn. Warum nur erinnere ich mich erst jetzt meiner „eingebauten Waage“? Die habe ich mir nämlich vor einigen wenigen Jahren installiert. In die eine Waagschale kommen die Vorteile, in die andere die Nachteile. Ja, als Frau brauche ich solche Tricks. „Die Wüste ruft. Also auf geht’s!“, erhebe ich mich vom lauschigen Platz am Pool. Die Waagschale mit Wüste, Piste, Einsamkeit ist eindeutig nach unten gesunken. Frank grinst, „Okay, wenn du das so willst, dann machen wir das.“ Zwanzig Minuten später rollt auch unser Toyota vom Platz. Mit einem Freddy der voller Freude auf seinen Platz springt und jetzt hoch aufgerichtet da sitzt und den Weg vor uns beobachtet.

Kurz darauf fahren wir in die „Garage“ ein, dessen Besitzer uns gestern nach der Wüstentour abfing. Er stand mit einem auffällig bunten Geländewagen an der Teerstraße, sah seine „Beute“ näher kommen und bedeutete uns anzuhalten. Unaufdringlich teilte er uns mit, falls wir eine Durchsicht, Reparatur oder sonstiges wünschten, wäre er erfreut uns helfen zu können. Frank zeigt ihm die abgebrochene Schraube und fragt, ob er dafür Ersatz hätte. Hat er nicht, kann er aber bis morgen besorgen. Frank reichte ihm die Hand, okay, das Geschäft gilt. In der Werkstatt, die so klein ist, das gerade mal ein Auto hinein passt (heißen die Werkstätten deshalb hier Garage?), werden wir bereits erwartet, mit einem Stück Gewinde ohne Schraubenkopf. Der junge Besitzer der Werkstatt freut sich, dass das Gewinde passt, bittet uns zu warten und verschwindet Richtung Straße. Ich sehe ihm fragend hinter her. Frank grinst und meint, der Mann würde jetzt den passenden Schraubenkopf dazu auftreiben. Wir lassen uns in die zwei speckigen Sessel der Werkstatt fallen, strecken unsere Beine aus und Freddy seinen ganzen Körper. Nicht lange und ein anderer Mann betritt die Werkstatt. Vom Knurren Freddys alarmiert, bleibt er stehen. Ich glaube in seinen Augen erkennen zu können, was ich heute Nacht durchmachte ... Gebirge, Wüste, Gebirge, Wüste. Bei ihm sind es Verben – wegrennen, stehen bleiben, wegrennen, stehen bleiben. Er bleibt, erinnert sich wohl seines Auftrages, denn er fragt, ob wir gern einen Tee hätten. Ja, gern, antworten wir, gespannt, ob er wieder kommen wird. Er kommt, bleibt erneut angstvoll an der Garagentür stehen, überwindet sich. Er gießt uns Tee ein, lässt Freddy dabei nicht aus den Augen. Wogegen ich die Gläser im Auge behalte. Die werden auch nicht sauberer mit Tee im Glas. Das erste Mal streike ich. Nein, auch wenn die Minze frisch, reichlich Zucker und kochend heißes Wasser vorhanden ist - aus so einem süffigen Glas trinke ich nicht. Frank konzentriert sich auf den Inhalt. Ich weiß nicht, soll ich ihn bewundern oder ihm das Glas aus der Hand schlagen. Meine Entscheidung fällt, ich tue nichts. Wir fahren ja in die Wüste, da kann er sich notfalls stundenlang unter eine Schirmakazie hocken und …. Der Besitzer kommt wieder, beschwingt setzt er den ersten Schritt in seine Werkstatt, hört und sieht Freddy knurren und springt wieder heraus. Den Kopf in seine Werkstatt streckend, fragt er, ob er rein kommen darf. Wir lachen, sagen, es wäre ja schließlich seine Werkstatt. Daraufhin muss auch er lachen und erkennt dass Freddy an der Leine ist. Wir fragen, ob es okay ist Freddy loszulassen, der Mann nickt, Freddy nähert sich ihm schwanzwedelnd, schnuppert ihn an, der Mann streichelt ihn, gut gelaunt klettert er unter unseren Toyota. Wenige Minuten später können wir die Werkstatt verlassen, die Schraube passt. Es sind jetzt zweieinhalb Stunden vergangen, seitdem Uli und Gisela den Zeltplatz verlassen haben. Eine Antwort auf unsere SMS haben wir noch nicht erhalten. Aber Inschallah, wenn es so sein soll, werden wir uns schon wieder treffen. Wir stoppen noch kurz am bekannten Schild „Timbuktu in 52 Tagen“, was bedeutet 
dass früher die Kamel-Karawanen 52 Tage von Zagora bis Timbuktu benötigten. Der Name Timbuktu kommt von den Tuareg, die im frühen 12. Jahrhundert an einem Brunnen residierten, den die Wächter Tim–Buktu nannten – der Brunnen von Buktu. Die Stadt war Kreuzungspunkt von berühmten Handelsstraßen und galt in ihrer Zeit als mächtiges kulturelles und religiöses Zentrum, dessen gewaltiger Schatz aus Manuskripten besteht, die unter der Stadt gefunden wurden und von denen 15.000 Schriften unter der Schirmherrschaft der UNESCO stehen. Nach einigen Fotos verlassen wir Zagora, Richtung Tamegroute. Frank fragt mich zum wiederholten Male, ob Uli oder Gisela geantwortet hätten. Nein, haben sie nicht.
Zwanzig Minuten später fahren wir in die Stadt hinein, biegen nach links ins Zentrum ab und befinden uns auf fest gestampfter Erde. Wir rollen langsam um das Zentrum der Stadt herum, welches wie eine Kasbah angelegt ist. Im Innenbereich der aus Lehm gebauten und farblich auch so belassenen „Festung“ befinden sich die Wohnhäuser. Bunte Türen schirmen die engen Gassen/Flure von der Außenwelt ab. Laut Reiseführer mögen die Menschen hier keine Touristen. Verständlich - sind wir uns einig. Wir würden zu Hause ja auch nicht wollen, dass Touristen mit gezückten Kameras durch unsere Hausflure schlenkern oder noch schlimmer auf Lauer liegen, um von uns ein Foto zu schießen. Jetzt werde auch ich nervös. Uli und Gisela haben noch immer nicht geantwortet, vom Sprinter fehlt jede Spur. Nun wo wir, also ich :-), uns für eine weitere Pisten - Tour durch die Wüste entschlossen haben, wäre es doch schön dieses wieder mit den Beiden zu erleben. Wir haben das Zentrum umrundet, biegen jetzt wieder auf die Hauptstraße. Damit sind wir alles abgefahren, was abzufahren ging, bis auf wenige hundert Meter der Hauptstraße. Wir fahren an Läden voller ausgestellter Keramik vorbei. Vorwiegend in grün, da Tamegroute für diese grüne Keramik bekannt ist. Frank sagt, „Es sieht so aus, als hätten wir uns verpasst.“ Ich nicke, kurz darauf zeige ich auf die andere Straßenseite, dort steht im Schatten einiger Palmen der Sprinter und daneben Uli und Gisela. Inschallah – wir haben uns ein weiteres Mal getroffen :-) Uli schaut uns in einem Gemisch aus Freude und Skepsis an, „Was treibt denn euch hier her?“ Wir sehen ihn erstaunt an, „Na, mit euch die Wüstentour fahren. Habt ihr denn unsere SMS nicht erhalten?“ Nein, haben sie nicht. Uli freut sich riesig, Gisela so gar nicht. Sie sagt, „Ehrlich gesagt, habe ich mit der Wüste abgeschlossen.“ Mm...diese Entscheidung habe ich jetzt nicht an der Backe, sondern Gisela, denn Uli sagt, „Also ich würde liebend gern fahren. Aber wenn du nicht willst, ist das auch okay.“ Und was macht Gisela? Sie geht erst mal mit uns in den großen Keramikladen, indem sie zuvor bereits einiges gekauft hatte. Ach, wie ich sie verstehen kann. Ich suche mir zwei große Schüsseln aus, Franks Augen werden größer. „Du weißt schon, das wir Piste fahren?!“ Ja, das weiß ich und ich weiß auch, dass bisher unsere vier Gläser ganz geblieben sind, inklusive der Gravur bei meinen Gläsern. Die nächste Frage von Frank ist schon schwieriger zu beantworten, „Wo willst du die denn hin tun?!“ Mm.... Ich hab´s. „Frank, es sind Schüsseln, das heißt, man kann was rein tun. Wir tun sie in unsere Kisten mit der Bekleidung. Die kleinen Sachen wie Slips, Socken, Shirts kommen in die Schüssel, die anderen packen wir rund herum.“ Frank zieht seine Augenbrauen nach oben, die Wangenmuskeln arbeiten. Kein gutes Zeichen. „Okay“, willigt er zu meiner Überraschung und Freude ein. „Aber nur die zwei Schüsseln. Nichts weiter!“ Ja, ich kann ja auch nichts dafür, das mir der Händler dann noch eine weitere Schüssel schenkt und es damit drei werden. Ich beobachte Gisela, wie geht sie mit der Last der Entscheidung um? Uli beobachtet ebenso seine Frau, als wir zu unseren Fahrzeugen zurück kehren, die jetzt nur noch von zehn Kindern umlagert werden und nicht mehr von dreißig. Denn neben Uli steht Freddy. Wie bereits erwähnt haben die Menschen hier eine enorme Angst vor Hunden. Also Hut ab vor den Männern, die sagen echt nichts. Wenn wir Frauen was wollen, na ja, da können einige von uns schon sehr nervig werden, die anderen haben ein Abitur in: Wie kann ich meinem Mann meinen Willen schmackhaft reden? Also stehen wir jetzt da, schweigend, verschenken Kekse und Äpfel an die Kinder. Verschenken noch mal Kekse und Äpfel.....bis Frank zu mir sagt, „So, wir fahren jetzt.“ Wie genau Gisela dann ihre Entscheidung fällte/vorbrachte, weiß ich nicht. Jedenfalls sind wir kurz darauf alle vier Richtung M’Hamid und Wüstenpiste unterwegs.

Im nächsten Dorf halten wir an, Frank sagt, danach käme nichts mehr zum einkaufen. Leider gibt es hier nur einen Gemüsebauern und damit bekommen wir zwar Tomaten, Zwiebeln, Zucchini und Apfelsinen (alles nicht mehr ganz so frisch), aber keine Gurken, Möhren und Bananen. Im kleinen Lädchen nebenan kaufen wir Fladenbrot, Wasser und Cola. Weiter geht es. Oh je, es passiert. Was? Das mit dem zweifeln. Bin ich denn verrückt, geht es mir durch den Kopf, es ist so dermaßen heiß und wir wollen in die Wüste? Wieder stundenlanges Durchgerüttle auf Pisten? Keine Dusche? Weg B kommt mir jetzt verlockender vor, Gebirge, Schatten, Campingplätze. Oder Weg C (der bis zum jetzigen Moment in mir gar nicht existierte) Atlantik – Strand, Wellen, Meer. Jetzt verkrampfen sich meine Wangenmuskeln. Weil ich mich über mich selbst ärgere, weil mir das immer noch passiert mit dem Schielen nach dem nicht eingeschlagenen Weg, mit dem im nach hinein erneut abwägen, mit den blöden Zweifeln. Weihe ich Frank in meine Gedanken ein? Ich bin doch nicht verrückt. Männer haben im Allgemeinen schon kein Verständnis für weiblichen Wankelmut. Frank im Speziellen nicht. Kurz vor M’Hamid lassen die Männer Luft von den Reifen ab. Das ist wichtig, da damit die Aufstandsfläche des Reifens größer wird, umso größer diese Fläche umso besser „trägt“ es. Gisela bleibt im Auto. Ich frage mich, ob sie wohl auch mit sich hadert? Ich bin mit Freddy ausgestiegen und laufe auf eine Kasbah zu, an der „Auberge“ steht. Von außen wirkt alles baufällig und ungepflegt. Kaum trete ich durch die Gartentür, bin ich überrascht. Der Garten ist mit kleinen Wegen und Spalieren angelegt. Eine Art Baumwollbusch blüht, dazu etlichen Bouganvillen und Oleander. Den Weg den ich einschlage führt zu einem Springbrunnen und von dort ins Haus. Ruhe und Kühle empfängt Freddy und mich. Ich bleibe stehen. An allen Wänden stehen Bänke, die belegt sind mit Matratzen, Teppichen und zahlreichen Kissen. Die niedrigen Tische davor laden ein zur Teezeremonie. Esstische und Stühle versprechen leckere Mahlzeiten. Weiter hinten im Raum befindet sich ein hoher Lichtschacht, direkt darunter Springbrunnen, der einem orientalischen Märchen entsprungen sein muss. Ich höre Stimmen im Haus, überlege, ob ich nicht die anderen überreden kann, hier eine kleine Mahlzeit einzunehmen. Im Nebenraum erneut Bänke an den Wänden, Kissen über Kissen, wunderschöne Stoffe an den Wänden, Teppiche auf dem Boden....ich muss mich beherrschen, mich nicht hin zu legen, die Augen zu schließen und mich von der Atmosphäre einlullen zu lassen. Weiterhin dringen Stimmen durchs Haus, zu sehen bekomme ich niemanden. Ich verlasse die Kasbah, steige zu Frank in den Toyota, sehe erstaunt rechts und links entlang der Straße eine Art von Schneeauffangzäunen. Schneit es in der Wüste, schießt es mir durch den Kopf? Nein, sage ich mir, es müssen Sandauffangzäune sein. Frank bestätigt meine Theorie und biegt unvermittelt rechts ab. Ehrlich gesagt habe ich die Piste gar nicht gesehen. Frank sagt, „Unter Offroadreisenden gilt der Sand hier als der gefürchteter weiche Sand von M`Hamid. Wir fahren jetzt einige Kilometer da hindurch.“
Fürchte ich mich? Nein, ich habe volles Vertrauen zum Fahrer, der unseren Toyota „schwimmen“ lässt. Beides zusammen, also der Fahrer und das „schwimmen“ löst ein unsagbar tolles Gefühl in mir aus, das meine Zweifel killt und meine Freude wiederbelebt. Beschreiben kann ich dieses Gefühl nicht wirklich..... Ist es eine Vorstellung, die ich von Afrika hatte und die sich mit solchen Touren erfüllt? Ist es die Faszination, wie ein Auto sich durch Sand hindurch manövrieren lässt und von einem Fahrer der dabei so konzentriert, gelassen und glücklich wirkt? Schiere Abenteuerlust? Meine Vorfreude erneut in der Wüste zu campieren ist jedenfalls riesig, bei Sonnenauf- und Untergang eine Düne zu verglimmen, dort zu sitzen, in die Wüste zu schauen, sie zu spüren und reden zu hören. Ca. 15 km fahren wir unentwegt durch Sand oder besser gesagt, schwimmen/ schlingern wir. Dennoch hat die Wüste hier auch viel Grünes zu bieten. Mitten in mehreren „Sandkegeln“ wachsen vom Blattwerk her breite buschige Kiefern. Weiter geht es durch die Hammada, eine platte Ebene voller kleiner und größerer Steine. Vereinzelt stehen „Pausenbäume“ herum, so nennt Frank die Schirmakazien hier. Warum? Ja, das habe ich ihn auch gefragt. „Weil“, so die Antwort, „ in der Hochsaison alle Bäume besetzt sind“. Damit habe ich gleich weitere Fragen. Was bedeutet besetzt? Antwort, „Den Schatten der Bäume nutzen Offroader für eine Rast.“ Zweite Frage: Welche Hochsaison denn? Wir sind doch in der Hauptsaison da, aber wir sind auf der Piste bisher keinem anderen Fahrzeug begegnet. Antwort: stummes Achselzucken. Dritte Frage, wenn als 
Gleichung gilt: Hochsaison = alle Bäume belegt, aber auf ca. 3 Quadratkilometern nicht mehr als fünf solcher Pausenbäume kommen...Kann man denn da wirklich von Hochsaison sprechen?! Antwort, grinsend, „Ja, kann man.“ Woher ich das wissen will mit der Kilometer – Angabe? Man würde sich auf platten Land oder auf dem Wasser doch arg verschätzen können! Stimmt. Aber man kann es erlernen. Ich sagte zu Frank, „Du siehst doch rechter Hand den Baum und dort in der Ferne den Nächsten. Lass uns mal schätzen, wie weit die voneinander entfernt stehen.“ Nach etlichen Pausenbäumen stimmte unsere geschätzte Angabe mit der gemessenen Kilometeranzeige bis auf wenige hundert Meter überein. Wie man auf so eine Idee kommt? Jeder der in der Medizin tätig ist sollte in der Lage sein Flüssigkeiten einschätzen zu können. Konkret die Blutmenge. Das bedarf auch Übung. So werden alle mit Blut durchtränkten Laken, Zellstofftücher, Tupfer, Vorlagen eines Patienten gewogen. Anschließend sucht man sich die gleiche Anzahl von sauberen Tupfern, Tüchern ec. zusammen und zieht dieses Gewicht von den blutigen Sachen ab. Die tatsächlich verlorene Blutmenge ist somit ermittelt, wichtig für die Einleitung der richtigen lebenserhaltenden Maßnahmen. Später braucht man dann nicht mehr zu wiegen. Allerdings schadet es auch nicht, es ab und an zu tun, um sich selbst zu kontrollieren. Was das mit der Entfernung von Pausenbäumen in der Wüste zu tun hat? Nichts. „Was meinst du“, grinst mich Frank an, „Sollen wir den nächsten Pausenbaum in eintausendsiebenhundert Metern ansteuern und dort Pause machen?“ „Der kommt zwar schon nach eintausendvierhundert Metern. Aber ansteuern können wir ihn dennoch.“
Diesmal bin ich am nächsten dran. Denn wir erreichen „unseren“ Pausenbaum nach eintausendfünfhundert Metern. Leider windet es so stark, dass ein Picknick nicht in Frage kommt. Wir hocken eine Weile unter dem Baum, schießen Fotos, genießen Wind, Wärme, Schatten, doch vor allem die Landschaft. Meine Romantikader ist angezapft, denn ich fühle mich wie im Film, „Jenseits von Afrika.“ Nach den Pausenbäumen weichen wir nach Süden aus, auf der Suche nach versandeten Pisten, die sich erheblich besser fahren, als über Steine zu „springen“. Am Horizont sehen wir etwas, was wir nicht eingeordnet bekommen. Über Funk fragen wir Uli und Gisela, Gisela scherzt, „Wir überlegen auch gerade was das ist. Wahrscheinlich eine Kamel - Karawane auf dem Weg nach Timbuktu.“ 
Es ist eine Karawane die durch die Dünen des Erg Chegaga zieht. Auf dem Rücken der Kamele Touristen, blaue Tücher um ihre Köpfe gebunden. Nun sehen wir auch drei marokkanische Geländewagen, die mit Touristen eine Wüstentour veranstalten. Ganz schön viele Menschen auf einmal, wenn man solange niemanden gesehen hat :-) Wenig später erleben wir, was es bedeutet, wenn die Wüste blüht. Gelb blühende Büsche bis zu einen halben Meter hoch und einen halben Meter breit. Mittlerweile haben wir vierzig Kilometer Wüstenpiste hinter uns und haben dafür 
ca. zwei Stunden benötigt. Es ist kurz vor achtzehn Uhr. Das Licht der Abendsonne ist sensationell, zumal durch den herum wirbelnden Wüstensand alles wie gefiltert wirkt. Der starke Wind ist auch der Grund, warum wir über Funk überlegen, ob wir ein Beduinencamp ansteuern sollten. Entweder um in einem Beduinenzelt zu übernachten oder zumindest im Windschatten des Camps unser Dachzelt aufzustellen. Die Entscheidung fällt, wir fahren oder besser gesagt „schwimmen“ mittels GPS ein Camp an und parken im Sand ein. Es ist ein Gefühl, was ich schwer beschreiben kann, erstens in der Wüste einzuparken, zweitens auf ein Camp zuzugehen, das so fremdartig wirkt. Es gibt einen großen Pavillon, rechts davon eine Ansammlung von Zelten, die an Flüchtlingslager aus dem Fernsehen erinnern. Wir betreten den „Innenhof“ und sind mehr als überrascht. Die „Flüchtlingszelte“ sehen nur nach außen armselig und abweisend aus. Sie sind um eine Art Chillout - Lounge herum gruppiert, in der unter freiem Himmel kleine Tische stehen sowie Bänke belegt mit bunten Teppichen und Kissen. Das Ganze wird abgerundet durch etliche Laternen und kleine Feuerstellen. Die Eingänge der Zelte bestehen aus schweren grellbunten Stoffen. Ein Mann in der traditionellen Tracht tritt auf uns zu, stellt sich in Englisch als Betreiber des Camps vor und fragt, was unser Begehr sei. Wir antworten, wir würden gern einen Tee trinken und dabei wissen wollen, was Unterkunft und Essen kostet. Er nickt, gibt einen anderen Mann Anweisung in seiner Sprache, zeigt uns den Innenraum eines Zeltes – Wände aus Lehm, Dach aus Zeltplane, Doppelbett, zwei Nachttische, Ablage für Sachen, praktisch bis komfortabel. Dann führt er uns in den Pavillon, in dem uns Tee im hohen Strahl serviert wird, dazu gibt es Nüsse und Oliven. Der Betreiber sagt, es würde jeden Moment eine Übernachtungsgruppe eintreffen, daher müsste er noch einige Vorbereitungen treffen, er wäre in zehn Minuten wieder bei uns.
Die Frage steht im Raum, was machen wir? Frank und ich haben schon eine Nacht bei starkem Wind im Dachzelt in der Wüste verbracht, an Schlaf war da nicht viel zu denken. Frank schaut mich an, sagt, „Ich überlasse dir die Entscheidung, ob wir uns hier ein Zelt mieten oder weiter fahren. Es ist ja möglich das der Sandsturm sich legt.“ Uli sagt das in ähnlicher Form zu Gisela. Na Klasse! Damit legen sie eine wichtige Entscheidung, die dazu in Kürze getroffen werden muss, den absolut falschesten Experten in die Hände. Ich stecke mir eine Erdnuss nach der anderen im Mund, weiter fahren, hier bleiben, weiter fahren, hier bleiben …. irgendwann muss doch die Schale leer sein und damit eine Antwort ermittelt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen